Rīga-Open 2012 (5)

Tag 3b / 4

Rīgas Präriebalsam

Morgendliche Wecker Und ich bin wach! Es wird gehämmert und geklopft, noch vor dem Wecker! Heute reißt es mich aus einer Traumsequenz. Die gestrige Rekonvaleszenten-Aktivität, mich von den Birdys und Blaskos und unzähligen weiteren Adepten seichter "Verregneter-Sonntagnachmittag"-Songs durch Büschers Hartland, welchem nun doch noch der Auftritt als "In einem Rutsch durchgelesen"-Buch gelingt, begleiten zu lassen, hatte seinen Entwurf hinterlassen. Während ich durch die endlose Prärie streife, drückt mich von hinten plötzlich eine schwere Gewitterfront nach vorne, Regen peitschend auf das Gras trommelnd, immer dunkler und stärker werdend, Blumenarrangements mich am Rücken fassend, nach vorne mich zu verschlingen drohend, bis von der Seite ein singender Turm auftaucht, der die Situation zum Stillleben mutieren lässt, einfriert. Die erstarrte Szenerie beginnt ganz langsam sich zu drehen, wird allmählich immer schneller, wie auf einer Drehscheibe, schwindelfrei, aber immer holpriger, schlagende Bewegung, die anfängt von unten zu hämmern. Und ich bin wach. Das Hämmern geht über in die profane Dachkonstruktion.

Geometer - vielleicht was für Yogi Diese Nacht war schlecht verlaufen. Nach fast einem ganzen Tag im Zimmer fehlte zu passender Stunde die nötige Schwere; schwitzend drehte ich mich Stunde um Stunde und dazu kreisten die Gedanken. Der gestrige Tag hatte ein Novum mit sich gebracht. Nach über 30 Jahren war es das erste Mal gewesen, dass ich in einem Turnier eine Auszeit nehmen musste. Neben der eigenen Befindlichkeit trieb mich vor allem die Sorge um meinen Gegner und dem übrigen Saal dazu, welche ansonsten einigen Niesattacken ausgesetzt wären.
Die Meldung hatte ich gut drei Stunden vor dem üblichen 17-Uhr-Rundenbeginn abgegeben, um dem Spielfreien die Chance zu geben an Konventhof meiner statt anzutreten. Gegen 19 Uhr, also zwei Stunden nach Rundenbeginn, kam dann auch die Rückmeldung von Mitorganisatorin Katrina Skinke, die auch selbst am Turnier teilnimmt. Eine Berücksichtigung des Spielfreien sei nicht möglich gewesen, da die Auslosung am Vorabend vorgenommen worden sei. Ich solle aber unbedingt melden, wann ich wieder gelost werden soll. Schade. Da sowohl der Spielfreie als auch mein Gegner beide der norwegischen Jugendgruppe angehörten, hätte es nach meinem Empfinden nur einer kurzen Nachricht an deren Betreuer bedurft. Sei es, wie es sei, mehr hatte ich nicht tun können.
das Pelmeni-Haus Am späten Abend erreicht mich dann auch die erste Nachricht von Normi über ein bekanntes Online-Netzwerk. Wie es mir denn ginge? Ich überlege kurz und denke daran, dass ich am Spätnachmittag den etwas wackeligen Gang nach draußen angetreten hatte, um zumindest mal etwas zum Trinken und vielleicht ein Medikament zu besorgen und eine Kleinigkeit zu essen, was mir dank schneller und bekömmlicher Küche im nahe gelegenen Pelmeni-Haus auch gelungen war, und antworte ihm, dass ich mein Überleben einstweilen gesichert hätte. Gute Besserung! Danke.

Mauerkunst Insofern bin ich inzwischen auch sehr zufrieden, auf diesem Hotel mit seiner zentralen Lage beharrt zu haben. Da hat man seine Ruhe, stört niemanden und kriegt alles in unmittelbarer Umgebung erreicht. Selbst die Hotelzimmerservicekraft konnte ich untätig aus meinem Zimmer entlassen, nachdem sie mich auf meine Frage nach etwas Wasser an die Rezeption verwiesen hatte. Und damit man nicht den ganzen Tag über etwa in sinnlosen Schlaf verfällt, wurde drüben fleißig weiter geklopft.

Noch 'n Dicker Das ist auch heute so, allenfalls von zwischenzeitlich immer mal wieder herunterkommenden Schauern unterbrochen. Wenigstens behelligt mich der Fernseher mit seinen gerade mal vier Programmen in keiner Weise. So wandere ich immer weiter von Dakota nach Texas, sage Runde um Runde ab, verzichte weiter auf das Frühstück und nehme das Pelmeni-Haus dankend als Tages-Highlight. Dort schöpft sich jeder Gast die Pelmenisorten seiner Wahl aus dem Sud der buffetartig bereitstehenden Bottiche und garniert sie nach Belieben mit dem traditionell dazugehörigem Schmand oder anderen Saucen und Beilagen. Die gefüllte Schüssel wird dann abgewogen und dem Gewicht entsprechend abgerechnet. Dazu ein leckeres Kefir, fertig ist die Mahlzeit.

Fast ein Schachcafé So gestärkt habe ich den Organisatoren für die siebte Runde meinen Wiedereinstieg angekündigt, ohne Wenn und Aber. Zwar dürfte dann mein Parcours durch die Horde der Norvegian kids weiter gehen (einfacher hätte ich gleich an einem Jugendturnier in Oslo teilgenommen!), aber mindestens beschert es mir doch etwas Spielpraxis. Das Turnier, in seinem originären Sinn und Zweck, ist ja ohnehin schon längst völlig verloren, da dürfte das Potenzial weiterer Schrecken begrenzt sein.

Rigas Glanz: das Schwarzhäupterhaus Ab und zu riskiere ich einen Blick auf die Ergebnismeldungen der Veranstaltung. Nach vier Runden waren nur noch Ehlvest und Romanov hundertprozentig und auch die sind nach deren Remis heute Mittag gestutzt; das verspricht noch einige Spannung auf den anbrechenden letzten Metern. Als ich das grade schreibe, ist die Internetverbindung aller im Hotel verfügbaren Ressourcen unterbrochen. Mal sehen, wie lange das nun andauern wird. So habe ich jedenfalls auch noch vor dem Rest der Außenwelt Ruhe. Wie gut, dass mich der Büscher begleitet; daheim wanderte ich mit ihm gerade von Guben nach Görlitz, hier aber folge ich ihm den Missouri entlang.

April im August Und etwas herumwandern sollte ich auch noch, wenn der Kreislauf mit dem Optimismus für morgen Schritt halten soll. Außerdem gehen die Vorräte wieder zur Neige. Und draußen schauerts. Kann mich auch mit viel Mühe an keinen derart nassen Sommer erinnern, es verging ja kaum ein Tag seit Anfang Juni ohne Regen. Und der fiel meistens auch noch relativ üppig aus. Der Klimawandel kommt wohl doch viel schneller, als selbst die Pessimisten vorausgesagt hätten. Die paradiesischen Zustände, wie sie seit ein paar tausend Jahren auf diesem Planeten herrschen, könnten alsbald der Vergangenheit angehören.

Straßenmusiker Noch aber ist auch Rīga ein kleines Paradies, dessen Altstadt es wie Tallinn zur UNESCO geschafft hat. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich sogar die gnadenlose Gastronomieverbreitung als durchaus attraktiv, stehen Preis und Leistung doch in einem immer noch ordentlichen Verhältnis. Noch gibt es diese Pelmeni- und sonstigen Self-Service-Häuser, die russischen Restaurant-Enklaven mit guter Qualität und günstigen Angeboten. Und dazu spielt überall Live-Musik auf, von Jazz und Folk über Blues, Poprock und Rockabilly bis hin zur Klassik, auf anständigem Niveau. Haben nicht die Restaurants engagiert, dann spielt an jeder Ecke ein Straßenmusikant. So macht das durchaus Laune, wenn ich das auch heute nur mehr im Vorübergehen konstatiere.

Das Beach-Volleyballfinale kriege ich allerdings nirgendwo zu sehen. Dafür wird mir Internet und Schlaf gereicht.

Mikly

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