8./9. Spieltag Doppelrunde Dessau

Ich seh' die Zukunft Pink

Blühende Landschaften? Nach 3jährigem Berichts-Sabbatical und verlängerter Oberliga-Pause sieht sich der Berichtsschreiber in der Pflicht, mal wieder ordentlich abzuliefern. Frohen Mutes und sogar mit Vorbereitung wird die schwarz-graue Hauptstadt gen Dessau verlassen. Mich deucht, das hätte ich schon einmal erlebt diese Saison.
Nach kurzem Umsteigestress in der Lutherstadt erreiche ich pünktlich um kurz vor 12 die architektonisch in zweierlei Hinsicht sehr interessante Stadt: Während das Bauhaus-Erbe und die Überreste der Fürstenresidenz die Augen groß werden lassen, gibt es auch die Dauerausstellung "ugliest types of Plattenbau the DDR had to offer". Was man zugute halten muss: Steht alles noch. Statt die eigene Residenz hier zu beziehen (diesen Plan gab es einmal, vor knappen 2 Jahren), machen wir lieber Do-It-Yourself Bauhaus und entdecken Brandenburg. Aber ich schweife ab.

Im Paul-Greifzu-Stadion am Samstag Nach kurzer Wartezeit am Bahnsteig bei eisigen Temperaturen trifft eine Meute ein, unter die sich allerdings ein Imposter geschmuggelt hat. Da die Löberitzer schnurstracks die Wärme im Hotel (Mama) ansteuerten, sollten wir ihn aber erst im Spiellokal wiedersehen. Nach kurzer Existenzkrise (Tobi or Not Tobi?) und Leseschwäche (Was ist denn das Aterviertel?) schafften wir es zur ersten Zwischenstation: Dem Hotel.

Who Let the Dogs Out?

Nager Da gab es direkt Plauen-Vibes, die ja auch zur Gegnerschaft an diesem Wochenende passen sollten. In der Lobby wurden wir zwar nicht von Hotelfachkräften begrüßt, aber von anderen Lebewesen (manche meinen, es seien Fische), die ihre ewigen Runden im Laufrad voller Inbrunst drehten. Ist das dieses "Überholen ohne einzuholen"? Andere fellige, pardon, felinen Besucher*Innen hatten Freigang im Hotel und lenkten den ML von der Vorbereitung ab. Im Radio lief "Who let the Dogs out".

Sebi macht blau So vagabundierten wir im Wartebereich, eifrig auf 13 Uhr wartend, denn ab diesem magischen Zeitpunkt sei die Rezeption besetzt. Als wir dann aber mit einem einfachen "Check-In gibts erst ab 15 Uhr" begrüßt wurden, zogen wir los, um die heiligen Hallen des Rewe zu finden. Doch nicht alle sollten bis dahin kommen, nur ein furchtloser Sebastian P. hat (dem Hörensagen nach) die Destination erreicht. Wir konnten ihn nicht fragen, da er nicht zurückkehrte.
Der Rest der Gruppe blieb vor dem relativ verlassenen Shoppingcenter (früher hingen da nur komische Leute ab, als ich noch jung war - Schindli) hängen und ließen uns Baklava, Tee, Kuchen und weitere Leckerlichkeiten mit gutem Gewissen schmecken, denn der Erlös ging zugunsten der Erdbebenhilfe. Ich hoffe, das Geld kommt an und tut gut. Gut gestärkt wurde der weite Weg entlang verschneiter Flusslandschaften und Kreuzungen, die sie direkt aus den USA importiert haben mussten, angetreten.

Die Rebellion oder Das vollständige Muster Am Spiellokal, einer kurzfristigen Ausweich-Location mit fragwürdigen Regeln (Tassen gibt es erst morgen, Montag können wir abwaschen) und noch fragwürdigeren Lichtverhältnissen (ich mochte die Bar-Atmosphäre) trafen wir den Rest der Mannschaft. Aus Rebellion gegen die plastikere Umhüllung seiner selbst sollte sich der Kaffee nicht nur über die Spielberichte, sondern auch über Tische ergießen.
Nach kurzem Rätselraten, ob die Brett 1 und 2 eintreffen würden, saßen wir einer stark aufgestellten Plauener Mannschaft gegenüber.

Alle Almans können die Moves

Jolanta vs Hugo Partien in etwa nach Länge:
Hugo hatte keine leichte Runde, geriet von Anfang an unter Druck und tauschte, von meiner Warte aus gesehen, vermutlich die falschen Leichtfiguren ab. So entstand eine passive Stellung, in der schnell Material abhanden kam.

Auch Normi konnte einen taktischen Trick, diesmal aber direkt in der Eröffnung anbringen. Heraus kam ein leicht besseres Endspiel, welches in ein Bauer-Mehr-Endspiel und schließlich in einen astreinen Sieg umgemünzt wurde.

Schindlis Gegner spielte etwas genauer gegen Aljechin, als Sebi es tat, aber immer noch nicht die beste Zugfolge. Wieso kriegt das eigentlich keiner hin? Die entstandenen Schwächen erlaubten es Schindli jedenfalls, genug Gegenspiel zu kreieren und das Remis war klar.

Analyse mit Dimitrios Robert vergaß zwar seine Vorbereitung so schnell wie möglich, konnte aber den GM sehr solide unter dauerhaft leichten Druck im Katalanen setzen. Da fällt gar nicht auf, dass Weiß einen Bauern weniger hat, so gedrückt steht Schwarz. Am Ende wurde die Partie Remis gegeben und hitzig analysiert, ob man da denn nicht noch etwas weiter hätte spielen können. Sicherlich eines Stellung, die der grundsolide Mr. Stein korrekterweise gegen den GM remisiert, während sich eine Nullnummer Niegsch langsam selbst zerlegen würde.

Schöne neue digitale Analysewelt Im Dienste meiner Berliner Kneipenschach-Kollegen schickte ich mich an, eine ordentliche Isolanistellung zu fabrizieren. Ich hätte mich über einen kooperativen Gegner mehr gefreut, denn so landete ich in einer Variante, in der mir nur klar war, wie man NICHT weiterspielen sollte. Ohne klare Empfehlung dachte ich mir "hey, dieses Buch war doch vor AlphaZero. Was ist denn, wenn man hier h4 macht?" Und so hatte ich gleich die zweite Lektion für meine Jünger parat: Wann der h-Bauer läuft und wann nicht. Kurz gesagt, das Eröffnungsexperiment schlug stark fehl und ich musste ordentlich kurbeln, um nicht alles zu verlieren. Berauscht vom Themensong des Wochenendes war ich mir jedoch der pinken Zukunft sicher. Mein Gegner spielte auch nicht die genauesten Züge und als das Gröbste hinter mir war und ich am Horizont einen taktischen Trick erspähte, stolpterten die schwarzen Figuren über ihre eigenen Füße und erlaubten diesen in Reinform. Wenn du mich fragst, wird alles gut mein Kind!

Plauen vs. Löberitz Auch Elina durfte eine Isolani-Stellung spielen, die aber auf der soliden, als auf der dynamisch attraktiven Seite war. Hier hat es der h-Bauer nur bis nach h5 geschafft und wurde prompt gestoppt. Das Remis war unausweichlich.

Sebi offenbarte neue Finessen im Aljechin, wo erst das Spielen gegen den Lc8 angetäuscht wird, um ihn dann sofort abzutauschen. Diese psychologische Finte schädigte das schwarze Stellungsverständnis bestimmt. Methodisch wurde eine an Russisch erinnernde Bauernstruktur ohne Damen geknetet, bis sich in Zeitnot ein weißer Turm in Bedrängnis am Brettrand sah. Dafür konnte Weiß andere Vorteile sein eigen nennen und Sebi spielte stark eben jene aus. Nach gefühlten 10 Stunden schaffte der Mordskerl auch noch, T+T vs. T+S zu gewinnen. Da zeigt sich einfach, wer mehr Sitzfleisch hat! Starke Leistung.

Frido: So eine Scheise. Frido konnte seine Form am Wochenende nicht so richtig finden. Nach einer sehr ungewöhnlichen Eröffnung zu solide gespielt, landete er in einem Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern und Minusbauern. Statt den Läufer im 41.! Zug einfach zu gewinnen, entschied sich der Gegner lieber zu nie enden wollender Tortur, bis schließlich auch die 0 auf dem Brett stand. So eine Scheise.

Aber wenigstens konnte man durch die Beendigung der Partie dem Spielsaal entfliehen und - atmen. Auf dem kaffeebefleckten Spielbericht wurden die 4,5 Zähler verzeichnet. Was soll man dazu sagen? Der Turbo aus dem Game kommt aus der Lameng. (Wir müssen nix erklär'n, denn das ist unser Slang.)

Zu viele Siegerbiere? Nachdem diese beiden Mammut-Partien um kurz vor 8 beendet waren, wurde sich schnurstracks zum Essen aufgemacht, wo uns ein bekanntes Gesicht unterstützen sollte. Da war der Abend gerettet!

Nach Essen, Verabschiedung und Einchecken (nur etwa 8 Stunden später als geplant!) sollten ein paar noch die florierende Nacht-Szene Dessaus unsicher machen. Mit unserem Local Guide fanden wir uns 1 Wegbier und ganze 50m weiter in einem der angesagtesten Schuppen Dessaus, dem Keller. Bei bester Gesellschaft, gutem Dessauer Bier und der ein oder anderen Kickerrunde ließen wir uns den Sieg auf der Zunge zergehen. Die Party sollte in der Hotellobby im Anschluss noch weitergehen, aber irgendwie sollte es dann nicht mehr sein. Schließlich war auch früh aufstehen angesagt!

Kickern in Dessaus angesagtester Location Ohne Frühstück (weil teuer und im Rewe waren wir ja nicht, das war im Nachhinein keine gute Idee) schleppten wir uns am nächsten Morgen, Hugo gegen Böhmi ausgewechselt, wieder zum Spiellokal. Wir ließen die Sonne auf unsere Häupter scheinen und fragten uns, warum man eigentlich Schach spielt. Hat ein bisschen was vom Dengu im Laufrad, wie oben ausgeführt. Aber es macht ja auch einfach Spaß! Außer halt am Sonntag. Ohne Frühstück.

Picture A Knife Fight

Stein wie immer solide gegen Pulpan. Sah immer etwas unangenehmer aus, aber die weißen Figuren wurden einfach nicht reingelassen.
Normi mit angenehmer Stellung, aber zu wenig Druck auf die weißen Figuren. Kann man nix machen, Remis. Versucht wurde jedenfalls.

Blaupause Sebi erneut mit starkem Sieg gegen Cerveny (war mir nicht vergönnt). Ganz methodisch wurdem im Sizi-Endspiel Schwächen angegriffen, weggenommen und Turmendspiele in gewonnene Bauernendspiele abgewickelt. Krass solide 2300 abgemacht. So wollen wir das sehen!

Elina hat eine schöne Partie mit lauter eleganten Springermanövern gespielt. Sb8-d7-e5-g6-e5-g4-e5-d3-schlägt b2! Hahahaha. Von da ließ der Gaul sich nicht mehr vertreiben und am Damenflügel wurde durchgebrochen. Erstaunlich effektiert das fianchettierte Pferdchen.

Hinten lief bei uns am Sonntag nicht so richtig, aus Ermangelung an Zeit (siehe gleich) kann ich da aber auch nicht viel zu sagen.

superschöneasygeilgewonneneegalwasmanmacht-Stellung? Ich selbst spielte einfach viel zu lang. Eine sehr angenehme Eröffnungsstellung sah sich einem soliden Schema-Aufbau gegenüber, sodass ich einen Bauern opferte, um Felder für meine Figuren zu bekommen. Die schwarze Stellung ist vielleicht solider, als ich dachte, aber angenehmes Spiel und die bessere Stellung sollte ich die ganze Zeit gehabt haben. Aber wie ich das ja selbst oft zelebriere, irgendwann kommt der Moment, wo man die Stellung ändern muss und wenn man da den falschen Weg wählt, weil man die einzige Rettung nicht sieht, aber der Gegner schon, geht die superschöneasygeilgewonneneegalwasmanmacht-Stellung über in eine scheisewasistdennhierloswarumhatderaufeinmalsovielgegenspielundwasundüberhaupt-Stellung über.
Kein Frühstück außer dem Kaffee (aus Tassen!) und einem Bissen eines Sebi'schen Schokoriegels hat sich da irgendwie nicht bezahlt gemacht. Hat auch nicht geholfen, dass wir deswegen verloren haben.

Verworrende Mulde-Stadt Tapfer wurde mir bis zum Ende beigestanden (vielen Dank!), damit ich auch noch einen humanen Zug nach Hause nehmen konnte und es sogar schaffte, noch etwas zum "Frühstück" am Bahnhof zu erwerben. Das sah zwischendurch mal knapp aus, die 10 min durch Dessau am Sonntag waren eine reinste Odyssee. Einbahnstraßen, Ausschilderungen, dann auf einmal wieder nicht, Unfälle, was wir alles gesehen haben.

Danke an ein wundervolles Team für ein richtig schönes Wochenende mit harten Kämpfen. Ich gebe zurück nach Berlin fürs Schlusswort.

Ey, schwarz, weiß, straight, gay
Liebe für alle und für mich selbst
Wouh, power to the people
Yeah, Frau'n rul'n die Welt

Nico

  SK König Plauen SG 1871 Löberitz 3,5:4,5
1 GM Mastrovasilis, Dimitrios FM Stein, Robert ½
2 WGM Zawadzka, Jolanta Post, Hugo 1-0
3 Burian, Simon Niegsch, Nicolas 0-1
4 Zähringer, Daniel Schütze, Norman 0-1
5 FM Kunze, Carlo Pallas, Sebastian 0-1
6 Hörr, Matthias WFM Otikova, Elina ½
7 FM Sandner, Gunter Mertens, Fridolin 1-0
8 Fischer, Erik Schindler, Christian ½
  SG 1871 Löberitz Nickelhütte Aue II 3,5:4,5
1 FM Stein, Robert IM Pulpan, Jakub ½
2 Niegsch, Nicolas IM Cerveny, Martin 0-1
3 Schütze, Norman FM Solberg, Joachim ½
4 Pallas, Sebastian FM Cerveny, Petr 1-0
5 WFM Otikova, Elina Heinz, Thomas 1-0
6 Mertens, Fridolin Heinz, Jürgen 0-1
7 Böhm, Christian WIM Kunze, Kerstin ½
8 Schindler, Christian Pössel, Christian 0-1

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