X. Porzellan-Cup Dresden 2006

Streichle das Wildschwein ...

Ausstellungsstücke ... heißt es in Aue vor (fast) jeder Zweitligabegegnung. Es gilt als Maskottchen, Glücksbringer und Nicht-Verlust-Garant, wenn man es nur zuvor sanft berührt hat. Und genießt besondere Privilegien wie auf der Couch liegen und fernsehen. Streicheln ist freilich gar nicht so einfach – das Schwein ist schnell und hat verdammt scharfe Hauer. Entfallen ist mir leider sein Name.
Das Wildschwein gestreichelt hätte man vor Dresden sicher auch, um gegen Shirov spielen zu können und dafür wohl sogar auf die Nicht-Verlust-Garantie verzichtet. Aber es war natürlich nur wenigen vergönnt – man brauchte schon in etwa die richtige Zahl, um es in den ersten drei Runden irgendwie zu schaffen. Gut erwischt haben es die Allianzler aus Leipzig: Thomas Filipiak durfte gegen Shirov ran und Thomas Seidel gegen Alexander Graf.
Aleksej vs. Jakob Loxine Seit 1997 wird der Porzellan-Cup ausgespielt – die ersten vier Auflagen gewann allesamt Shirov! Später trugen sich u. a. auch Aronian und Graf in die Siegerliste ein. Letzterer war ebenso am Start wie Titelverteidiger Viktor (Viorel) Bologan, der das Turnier – nicht ohne Blitzeinlagen, aber insgesamt doch recht souverän – erneut gewann. Shirov steckten womöglich noch die 0,5/9 von Tallinn in den Knochen, als er gegen Viorel Yordachescu im Viertelfinale ausschied. Eine Überraschung, aber wohl keine Sensation. Der Ex-Dresdner nahms gelassen und zeigte sich während des gesamten Turniers freundlich und entspannt.
Bühne der Spitzenbretter Was zog uns nach Dresden? Nun, schon die Idee ist interessant. Waren diesmal die Porzellan-Stücke nur Dekoration, wurde bei den Erstauflagen tatsächlich noch mit dem zerbrechlichen Gut gezockt: "Handicup wie Besonderheit zugleich waren die von der Sächsischen Porzellanmanufaktur zur Verfügung gestellten kunstvollen Figuren im Wert von vielen tausend Mark, die sich für eine Kamin-Partie zwischen Tigerfellen in einem James-Bond-Film wunderbar eignen mögen, zum ernsthaften Turnierschach jedoch gänzlich ungeeignet – da kaum auseinanderzuhalten – sind." (Schach 2/98).
Erfolgreicher Titelverteidiger und Premierenteilnehmer: Viktor Bologan Inzwischen spielt man wie gesagt mit gängigem Material. Auch geändert haben sich Modus und Teilnehmerzahlen. Die Erstauflage wurde als doppelrundiges Turnier zwischen Shirov, Bologan, Almasi und Uhlmann ausgetragen – mit dem bekannten Ende (4,5/6 für den Letten). Schon im Jahr darauf kam der k.o.-Faktor ins Spiel (doppeltes k.o.-System). Die Jubiläumsauflage lud zu einem großen Open im bereits bewährten Schweizer-K.O.-Modus. Dabei gibt es von Anfang an direkte Duelle mit Blitzpartien 4 + 2 gegen 3 + 2 bei Remis im Schnellschach, die der Weiße gewinnen muss. Dumm übrigens, wenn man nach der Remispartie einfach nur die Figuren austauscht, ohne das Brett zu drehen und der Schiri die extra vorbereitete Blitzuhr gegen die Schnellschachuhr anhand der Brettkoordinaten austauscht. So geschehen bei Jaracz - Graf. Ersterer musste nach vergebenem Gewinn (!) in der Schnellpartie nun mit einer Minute weniger gewinnen – psychologisch kaum machbar. Seine Reklamation der vertauschten Bedenkzeit kam nach der Partie deutlich zu spät, obwohl Graf fairerweise besätigte, dass die Uhr (oder die Figuren ...) falsch aufgestellt war ...
Auch Artur und Igor am Start Die Verlierer steigen in der nächsten Runde jeweils mit voller Punktzahl im Schweizer System-Turnier ein. Besonders interessant war es m. E. in den Runden 4 bis 6, wenn in der Regel schon Großmeister aufeinandertrafen, aber doch noch viele k.o.-Duelle liefen und häufig geblitzt werden musste. Unglaublich, mit welcher stoischen Ruhe die GMs dabei mehrfach hintereinander die Zeit bis auf eine Sekunde nutzten, um dann wieder zwei dazuzubekommen und ruhig in die Stellung zu schauen. Keine Spur von Hektik!
Eigentlich inzwischen in der Realität angekommen: Die Frauenkirche Der Modus ist jedenfalls sehr interessant und hält immer was zum Kiebitzen bereit. Dazu war das Turnier wirklich erstklassig besetzt. Genügend Gründe also, nach Dresden zu kommen. Zumal einem immer noch mehr einfallen: Nudel (herzlichen Dank für die Gastfreundschaft und zielsichere Führung durch Dresdens Kneipen!) besuchen und die neue Frauenkirche (das klappte nur im Modell). Wahrscheinlich hatten sich die Organisatoren noch ein paar mehr als die 170 Teilnehmer erhofft – immerhin winkten Preise nicht nur in TWZ-Kategorien. Diese waren sogar noch einmal gestaffelt nach Alterskategorien (Normi und ich waren in derselben!). Die an der Idealzahl 256 fehlenden Teilnehmer (Finale doppelrundig) wurden in Runde zwei durch die bekannten "Lucky loser" aufgefüllt.
Normi mit guter Partie gegen den späteren Pechvogel Jaracz Für mich waren es erste Erfahrungen mit dem Fischer-Bonus: 30 Minuten plus 10 Sekunden pro Zug in der Schnellpartie, was zu einer Gesamtspielzeit von ca. 1,5 Stunden in ausgekämpften Partien führt. Sollte man auf jeden Fall mal gemacht haben. Es ist grundsätzlich angenehm, wenn die Zeit eine untergeordnete Rolle spielt und man leicht gewonnene Endspiele in Ruhe nach Hause fahren kann. Für komplexe Stellungen reicht der Bonus allein im Normalfall nicht. Es gibt auch skurrile Situationen: Der Bernburger Sebastian Böhme musste sich gefühlte siebzig Züge lang mit König gegen König/Läufer/Springer verteidigen und wurde schließlich doch erlegt (nach gefühlten zwei Stunden). Zur Erinnerung: Bei Bonus gibt es keinen 10.2! Im besagten Endspiel geht es ja aber ohnehin mehr um die 50-Züge-Regel. Der Schiri fing übrigens irgendwann mittendrin still an zu zählen und endete bei 46. Seiner Aussage zufolge hätte er bei über 50 und Reklamation von Sebastian Hand eines Bundestrainers sucht Schachuhr Remis gegeben. M. E. nicht korrekt. Wir hatten das letztens im Dorotheenhof. Einzig denkbare Variante aus meiner Sicht: Sebastian (inzwischen wieder 8 Minuten angesammelt) schnappt sich ein Formular und fängt an mitzuschreiben, da er in der Beweispflicht ist.
Apropos Bonus: Einer meiner Gegner hat sich beschwert, dass meine Uhr nach einigen Eröffnungszügen 31 Minuten anzeigte. Dabei ist das durchaus normal. Schnellspieler Cliff schaffte es oft auf 34 und hat wohl auch ein, zwei Partien mit mehr Bedenkzeit beendet als begonnen ...
Normi vs. Andree: 6.L:f7 Für Normi war es alles in allem ein normales Turnier. Guter Start und wirklich perspektivreiche Schwarzpartie gegen GM Jaracz in Runde drei. Dennoch der k.o. und danach ein Hänger, u. a. gegen den Leipziger Turnierorganisator Andree Rosenkranz. Guter zweiter Tag mit zunächst 3/3 (u. a. gegen Filipiak und Shmirin). Ohne die abschließende Null wäre es sicher ein Preis geworden. Am Ende 5,5.
Ich verabschiedete mich aus dem k.o.-Turnier mit einer verdienten Niederlage gegen den Gohliser Nachwuchsspieler Paul Doberitz. Auch danach verlief mein Spiel ungefähr in der Stimmung von "Porcelain" aus dem Californication-Album (Ich gebe zu, dass ich es gern höre, während mir ein Kenner mal erklärt hat, dass es der wahre Fan eher abstoßend findet). 4,5 und nur ein nominell stärkerer Gegner.
Man kennt sich aus gemeinsamen Bundesligazeiten: Aleksej und Raj Im Rahmenprogramm gab es u. a. Frauenbundesliga (klarer Dresdner Sieg gegen Rodewisch) und ein Uhren-Simultan der Weltmeisterin mit Bundes-Uwe im Auerbach-Keller-Modus von Dana und Holly.
In wenigen Tagen geht es erneut die Porzellanstraße A4 entlang – diesmal zur berühmten Schwester der Sächsischen Manufaktur: nach Meißen ...

c. r.

Sprüche

"Vor dem Spiel gegen Bindlach haben wir es nicht gestreichelt – man muss es ja nicht gleich entweihen."
Cliff über das Schwein

"Wenn dir einer sagt: 'Klar kannst du bei mir pennen – geht aber nur im Bettkasten.' und dabei lacht, was denkst du: Ist das Spaß oder Ernst?"
Hannes L. über sein Nachtquartier

"Der X ist wohl eine Mischung aus Y und Z ..."
Nudels Schöpfung sorgt für viel Heiterkeit, wenn man die richtigen Namen einsetzt

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