Finale in Hoggenä

Mikly, Coach Und es ergab sich denn doch .. - die Teilnahme der Magdeburger Nullfraktion beim Finale der Deutschen Amateurmeisterschaft im Rahmen des Ramada-5hoch3-Cups in Hockenheim oder wie die Eingeweihteren vielleicht eher artikulieren: Hoggenä. Jenes verschlafene Städtchen an der Grenze zwischen Baden und Württemberg also (dass solche Grenzen durch ein Bundesland hindurch durchaus konkretere Trennungen als, zwar historisch bedingte, doch heutzutage nur mehr namentliche Distanzierungen bedeuten können, zeigt sich eben hier in Baden-Württemberg, da dieses als einziges Bundesland sich doch zwei eigenständige Schach-Landesverbände gestattet), wo auch einzelnen Cents noch hochoffiziell eine Wertigkeit zugesprochen wird und welches alljährlich höchstgelegentlich hoffnungslos überrannt wird, wenn entweder sausende Boliden oder aber andere Heroen des Entertainments auf dem Ring ihr Stelldichein zelebrieren. Ansonsten beschränken sich nach erster Kurzdurchsicht die ständigen Attraktionen auf die natürlich auch hier allgegenwärtige Spur des Hemingway, auf das Schwimmbad Aquadrom und das schnell, besonders bei den Schachspielern und -funktionären, populär gewordene Eiscafé gegenüber dem Ramada-Hotel, wo die spezielle Geschmacksnote der kühlen Leckerei vermutlich weniger von den verwendeten Inhaltsstoffen, sondern vielmehr von der freundlichen-verbindlichen Art der Darreichung durch Eiskünstlerin Parthena herrühren mag, was der brieftaschenbefreite Rüdi ganz sicher bestätigen wird.
Pathena Spät am Abend erst riss sich der eh vernachlässigte Grill von mir los und entließ mich auf die A61gen Süden in die Region der Kindheitsjahre, wo ich entsprechend erst um halb eins aufschlug nicht ahnend meinen kleveren Wirtsleuten damit schlaflose Frösche in die müden Ohrmuscheln zu treiben. Denn es ist ja noch Spargelsaison! Und das bedeutet 14 Wochen lang jeden Tag inklusive der Sonn- und Feiertage ab morgens um 7 bis abends um 23 Uhr von Markt zu Markt um bündel-, zentner- bis tonnenweise das faserige Gemüse auf seinen Weg zu den schmachtenden Gaumen zu bringen und gelegentlich auch mal ein Handy kostenfrei abholbereit zu legen. Kein Wunder, dass die wenigen Stunden der Regeneration dann gerne verzichtfrei verlaufen sollen. Aber auch der Coach entwand sich noch hellwach zur Begrüßung den Federn seiner Kammer, dafür kurz das eifrige Studium der Meister unserer Neigung unterbrechend.
Karpov Zum Frühstück wurde ich dann noch des dritten Gastes gewahr, mit dem in Leipzig Lehrenden Thüringer Uwe Wagner einem weiteren Finalisten. Unbehelligt von "Wachhund" Trixi machten wir uns hernach auf den gut zweihundert Meter langen Weg zum üblichen Prozedere der Anmeldung, wo der Häxler bereits grinsend seinen Posten unbekannten Zweckes eingenommen hatte und so immerhin seinen Beitrag zu frühzeitig familiärer Atmosphäre leistete. Nach dem obligatorischen Präsenznachweis dann wie gewohnt die Überbrückung der niemals so ganz genau kalkulierbaren Zeit bis zum Erfordernis der ersten Zugausführung, gemeinhin mit Geplauder, Gebummel oder meditierend in einem stillen Eckchen verbracht, nicht anders jedenfalls als bei jedem anderen Turnier und auch der Umstand, dass ausnahmsweise nicht die Hotelgruppe selbst den Spielsaal beherbergte, sondern uns die angrenzende Stadthalle exzellente Bedingungen bot, vermochte nicht das Gefühl eines besonderen Wettkampfes in meine Brust zu platzieren.
Jordan, Karpov Seit an Seit mit dem Coach eröffnete sich dann doch recht flugs die erste Runde und des Gegners Pirc entlarvte adhoc den Probierstein an mein Gedächtnis als gescheitert, doch taugliche Bemühungen offenbaren sich zuweilen zuhauf und erzwingen einen Lauf. Daran vermögen dann offenbar auch späte Fehltritte nichts mehr zu ändern, ein variantenreiches Spiel auf ein Tor überschritt die gewünschte Linie: 1:0. Viel Muße blieb nicht bis zum zweiten Antritt des Tages, wo ich mit Schwarz eine neue Eröffnung erfand, die ganz sicher keinen imaginären potenziellen Nachahmer ermutigen darf, doch, wie die anschließende biergetränkte und aufgelaufene Analyse mit den Zeltfreunden ergab, der eine und andere Zweitbeste meines Gegenüber hatten meinereiner entlastetet und so die Wertung bis zu einem dann kurzen Ende gedreht. 2:0! Voilà! Das ließ sich ja an wie dereinst in Magdeburg.
Diesmal nicht im Hotel Doch, vollkommen erledigt gar das letzte Bier im Hemingway verschmäht, erwartete mich nun Jungstar Florian Dinger, der just durch das Stahlbad "Deutsche Jugendmeisterschaft" gewatet war. Und es geriet in der Tat zu einer harten Schlacht, nicht gerade von Feinsinn, doch von brachialer Kampfeskraft geprägt und die letzten Reserven saugend, wo mich auch nahezu eine ganze Offizierswertung minus nicht verzagen ließ. Nein, ich wollte und durfte diese Begegnung nicht verlieren, eine definitive Absage, nur durch die finale Überwindung aller mir zu Gebote stehenden, wenn auch bescheidenen Mittel negierbar. Florian schaffte es nicht, doch er wird wissen, worauf er seine Anstrengungen lenken muss, will er ehrgeizige Ziele anstreben. Und nun der einzig hundertprozentige Thomas Draeger, gegen den der Coach soeben verloren hatte. Nur ein Sieg würde mir alle Türen zum Titel öffnen. Doch ich war erschöpft, meine derzeit dürftige Kondition schmiss mich in die Ecke und der Flammkuchen ließ endlos auf sich warten und Sommer umfing die klimatisierte Stadthalle und überhaupt hat ja noch nie ein topfitter Spieler jemals eine Partie verloren .. ;-) Da wollte ich keine Ausnahme machen und nach einer neuerlichen eröffnungstheoretischen Ungenauigkeit sezierte mich der ausgeschlafene Thomas fein säuberlichst. Um das gegnerische Tor zu sehen hätte ich schon ein Fernglas benötigt und auch ansonsten kam ich aus dem Herumstochern in diffusem Nebel nie wirklich heraus.
Hier ehrt man noch den Cent Damit war das Titelthema, so es sich durch den zweimaligen Auftritt am ersten Brett autosuggeriert hatte, auch schleunigst wieder erledigt - das große Finale bestritten am Samstag dann meine beiden Gegner vom Freitag. Zuvor jedoch erkundete ich mit dem Coach noch mit restlichem Tageslicht das nahe und empfohlene Schwetzingen, wo am Schloss mächtig was los wäre. Nun ja, tatsächlich kommt die kleine Stadt nach einem kurzen Spaziergang recht hübsch daher und die gut besuchten Lokalitäten rund um den Schlossplatz sind mehr als die wenigen Parkplätze vor der Hockenheimer Eisdiele verkraften würden. Natürlich fiel die Wahl auf das Cubar, auch wenn sich unsere gierigen Lesekünste als noch deutlich schwächer erwiesen als das Missverhältnis zwischen Augen und Mägen. Immerhin ließen wir weder Pizza- noch Flammkuchenboden noch -belag, weder Mojito noch Coconut Kiss, weder das Bier noch eine Analyse zurück. Nach Rechtspflege und BB-Cashpool trafen wir daheim noch auf die geschundenen Klever-Hände, Uwe und die Erzählungen über Sprachkünste von Papagei Rick & Kompagnon in Sachen Scheidungsrate vor dem Gemüsehandel.
Rick Es half letztlich aber alles nichts – die Schlussrunde war wieder für 9 Uhr angesetzt, was verstehe wer will, denn weder war Sonntag noch die allgemeine Abreise hernach avisiert, mithin lag demnach kein erkennbarer Grund vor nach der schweren doppelten Doppelrunde nicht wenigstens ein Stündchen mehr Freizeit bzw. Schlaf zu vergönnen. Doch irgendwie scheint zunehmend eine Besessenheit auf Bäckereischach um sich zu greifen, wonach ich vorschlagen möchte Partien künftig auf vier Uhr morgens anzusetzen, wodurch viele eine gute Chance erhielten einerseits ihr Fernbleiben vom heimischen Sofa gänzlich zu verheimlichen und andererseits sogar mit frischen Brötchen unter dem Arm pünktlich und hochwillkommen zum Frühstück zurück zu sein! Und schließlich sind ja fast alle kreativen Denkakrobatiken von allen Meistern ihres Faches bevorzugt in den frühen Morgenstunden exerziert worden. So hatten seinerzeit die berühmten Wiener Kaffeehäuser kurz nach der Auslieferung der Tageszeitung ebenso ihr höchstes Besucheraufkommen an den Schachbrettern, wie sich die großen Philosophen, Maler, Denker und Erfinder spätestens beim Hahnenschreie wecken ließen um in gemütlicher Runde Gleichgesinnter beim Tee der Welten Geheimnisse zu erkunden und beantragen unzählige Arbeiter und Angestellte neuerdings die Verschiebung ihres Spargelmarkt Arbeitsbeginnes auf die Mittagszeit, da Muße und Freizeit nun einmal noch vor dem Sonnenaufgang am angenehmsten zu gestalten sind. Aber immerhin tauchen wir sportiven Sportsgeister sportlich drahtig in die Ströme des Zeitgeistes, erledigen a tempo was gerade so zu absolvieren ist - je mehr Runden pro Tag je früher abgehakt sind und das bei möglichst vielen dabei abgehandelten Aktiven, desto prunkvoller fallen die Orden an die Organisation aus. Spät erst hat der Medien- und Sportsgeist die Schachwelt erfasst, doch umso gründlicher und unerbittlicher blühen seine dornigen Rosen, sei es, dass an Pfingsten unbedingt sieben und an Ostern unbedingt neun Runden allüberall durchgepeitscht werden müssen (denn schließlich will ein echter Schachsportler ja möglichst wenig Zeit für die Frage aufbringen wie er denn etwaig entstehende zeitliche Vakanzen am Orte seiner Reise anderweitig als in einem o2-armen Raume zubringen könnte, was nebenbei auch die hohe Popularität von seh-nix-mach-nix-überall-gleich-all-inclusive-Urlauben erklären könnte) oder eben durch den verordneten Zwang nach der ganztägigen Doppelrunde gerade noch Zeit zu erhalten für eine späte Mahlzeit und brav geschwind an der Matratze zu horchen, denn nach der Partie ist sozusagen bereits wieder unmittelbar vor der Partie, wobei so kaum noch Zeit bleibt für die nötigen konditionserhaltenden Joggingeinheiten zwischendurch, was immerhin einem gewissen Anachronismus gleichkommt, einem geradezu tragischen Moment für alle Ergebnisjäger.
Hockenheimer Highlights Letzte Runde. Nach einem Sieg winkte immerhin noch der verbronzte letzte Platz auf dem Treppchen und selbst bei einem Remis gar noch ein "ehrenvoller" fünfter Rang, doch nach der Auslosung bereits zog mir ein mulmiges Gefühl auf. Die Partie führte ich denn auch zielstrebig unter Aufwändung aller Register ins Desaster. Dass Stefan nicht mehr eröffnen würde wie gegen den Coach in Runde 1 kam nicht überraschend, doch schon ein erster gängiger taktischer Kniff vermochte mich psychologisch und zeitlich in Nachteil zu werfen und selbst nach der Wiederaufforstung und dem Erreichen eines totremislichen Minusbauernturmendspiels gelang mir der völlige willenlose Zusammenbruch unter sinnesfreiestem Wegwurf desselben bei knapper, aber irrelevanter Restzeit. Nach zweieinhalb aus drei dieselbe doppelnullige Ernüchterung wie zuvor in Brühl - wann hat es das schon mal gegeben? Überhaupt gehören Schlussrundennullen und schon gar derer zwei zu den seltenen Exemplaren meinerseitiger Absolvenzen. Schade. Da tröstet natürlich auch die mit Abstand "gewonnene" Zweitwertung nicht.
Gewerbe in Hoggenä Deprimiert ob der Art und Weise ein versöhnliches Resultat vermieden zu haben stand mir der Sinn gar nicht mehr nach Siegerehrung, Büffet und Verbleib. Weg, nur weg, schnell ausknipsen und vergessen. Sorry Coach und Thomas Draeger, mit dem noch eine Doppelanalyse seiner Partien gegen uns vereinbart war. Die Sachen gepackt und los. Doch letztlich erweichten mich die Kombination der Überredungskünste des Herrn Duchrow in Kombination mit aufkommendem Hunger sowie der Chips-Einladung von Parthena und so überbrückten meine Mitbewohner und ich die Stunden bis zur Fütterung im Freibad des Aquadrom, wo mir die letzten Schritte Wolfgang Büschers Wanderung von Berlin nach Moskau untermalt von KillBill-Klängen Seelenbalsam wurden. Den Schweiß in der Heidelberger Straße runtergespült, gedresst so gut es die Tasche hergab und auf zum festlich angeordneten ehemaligen Spielsaal der Stadthalle während draußen auf dem Kirchplatz die MVG-Liedertafel bierseliges Freiluftvergnügen versprach. Vor und nach dem gestürmten Büffet, zu dem sich seitens Ralf Häntsch Rosenheimer Köln-Parallelen offenbarten (Dank an DWZ-Guru Karl-Heinz Glenz für die gelungene Fotonahme!) wurden vor allem die Mikrofone strapaziert, die sich vor dem fast geschlossen versammelten DSB-Präsidium dem Fokus des 75-jährigen Jubiläums der Schachvereinigung Hockenheim ausgesetzt sahen. Der zu Coachens Augenzwinkern aus Sangerhausen stammende Vereinsvorsitzende Manfred Werk durfte den Reigen unzähliger Grußworte einfädeln, Ernst Bedau gesetzten Bedachts die herausragenden Damals auf Kuba ... Leistungen würdigen und Ex-Champ Anatoli (oder doch Anatol?) Karpow seine Freundschaft und Beziehung zur HSV darlegen, hernach die Stafette der erfolgreichen Sportler (ja, der Coach war auch darunter und durfte bühnenreif dem Delling-Netzer- oder Hort-Pfleger-Duo Jordan-Schultz vom 10000-Teilnehmer-Simultan auf Kuba erzählen. Außer diesem Auftritt und den des Schlussrundenbeschenkten Stefan Pick ("Sie sind verheiratet? Mit einer Frau? Ja!") blieben mir die übrigen Einlassungen des Festabends jedoch verborgen, da der beschallte Kirchplatz als Untermalung zu Parthenas Lebensgeschichte ein meiner Laune angemesseneres Alternativprogramm bot. So entging mir die Ehrung des vollauf verdienten Siegers meiner Gruppe ebenso wie die nur denkbar knapp verfehlte des anderen Thomas, des Holzhüters aus Havelberg, dem wie mir die Qualifikation in Magdeburg gelungen war und mit dem mich die denkwürdige Partie des denkwürdigen ersten Löberitzer Pokalauftrittes am sachsen-anhaltinischen Nordrand verbindet und vielleicht hätte Alice anderen Einfluss auf mich gehabt, so sie denn ihren Finalplatz nur wahrgenommen hätte. So aber packte ich zusammen, verabschiedete mich mit einem Bündel des guten und gerühmten Schwetzinger Spargels unterm Arm von den Wirten, fuhr den Coach noch die hundert Meter zur Sparkasse und entschwand Hoggenä vorzeitig kurz nach Mitternacht, legte zwei Stunden Schlummerns am Hunsrück ein um gegen halb fünf wieder unter einer vertrauten Decke zu sein.

Mikly

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