I. Saale-Herbst-Open 2004

Flugos Bruder

Doch bin ich nur ein kleines Mosquito
und habe nichts als mein Inkognito
und das Auge des Insekts –
wenn ich's doch nur nicht hätt'.

"Mosquito"/Schrödingers Katze

Flugo Ende August, wenn die Tage deutlich kürzer werden, beginnen sich Landschildkröten hormonell auf den Winterschlaf einzustellen. Schließlich pflegt Flugo so ab Anfang Dezember selbigen im Kühlschrank zu halten (Wie hätte C4 wohl daraufhin seine philosophischen Betrachtungen zu fremden Kühlschränken abgewandelt?). Zum Glück war es noch nicht so weit und Flugo im Weidaweg 4 mein ständiger Begleiter dieser Tage. Schildkröten haben etwas sehr Beruhigendes und Konstantes. Und werden für gewöhnlich sehr alt ...
Zur Erstauflage des Saale-Herbst-Opens hatten Stefan Jaßmann und Gabi Manigk ins "Penalty" eingeladen, die Kneipe in der Hallenser Eissporthalle. Mit der geschilderten Fensterfront auf die Eisfläche hatte es durchaus Flair. Mich hatten noch weitere Gründe für das Turnier eingenommen. Rundenbeginn war nie vor 10 Uhr und bei insgesamt max. 8 Stunden Schach pro Tag sollte auch noch genügend Zeit für Gegenlichtaufnahmen der Laubfärbung bleiben. Auch dafür liegt die Eissporthalle ideal, denn unmittelbar angrenzend finden sich mit der Peißnitzinsel, dem Heine-Felsen, Burg Giebichenstein und etwas weiter dem Zoo genügend Grünanteile. Schließlich war beim Yogi noch eine Übernachtungsmöglichkeit gegeben – nur fünf Minuten zu Fuß vom Spiellokal entfernt.
Penalty Favoriten auf den Turniersieg waren die beiden FIDE-Meister Hannes Langrock aus Hamburg und Cliff Wichmann aus Dresden. Das Teilnehmerfeld mit der hungrigen jungen Meute (Herbstferien!) war aber alles andere als ungefährlich (C4: "Ich war mir des Risikos voll bewusst."). Zudem waren ja Spurtqualitäten gefragt, denn allzu phlegmatisch sollte man die vier Stunden nicht angehen. Da mit Hannes Langrock und Sandra Krege zwei notorische Zeitnotspieler in der Spitze mitmischten, gab es auch das eine oder andere dramatische Duell zu bewundern.
Eine Schlüsselrolle für den Turnierverlauf spielte bereits der Donnerstag mit den Runden drei und vier. Mit Krege - Wichmann und Langrock - Strache sahen wir wohl die interessantesten Partien des diesjährigen Saale-Herbst-Opens. Erstere war eine Remispartie, die bis Anschlag gespielt wurde, zum Schluss wohl mit Sandras Dame gegen Springer + zwei Bauern. Das Finale habe ich leider nicht sehen können. Dramatisch verlief auch die andere Begegnung, in der Hannes zunächst eine Figur opferte und drückend überlegen stand. Micha verteidigte sich aber sehr zäh und hatte nach verpasstem weißen Gewinn in der Zeitnotphase einen kräftigen Konter parat. Ein klarer Anwärter für den Partienteil.

Strache - Selle Strache - Engelmann Günther - Strache
Strache - Selle nach 23.g;f Strache - Engelmann nach 9.g5 Günther - Strache nach 26...h5

In der Nachmittagsrunde konnte Micha gegen Jakob im unnachahmlichen Stil nachlegen und hatte als Einziger 4/4 vorzuweisen. Der unnachahmliche Stil ist übrigens schnell beschrieben, ich habe es ansatzweise im Partienteil zur KEM Mansfelder Land 2003 getan: "Genau dieser Spielaufbau mit dem unerschütterlichen f4/h4/g4 in Verbindung mit einigen rein äußerlichen Beobachtungen hat die These "Coach ist einzigartig" beinahe ins Wanken gebracht. Natürlich nur beinahe, aber immerhin ..." Ergänzen möchte ich noch, dass es bei all diesen Bauernvorstößen am Königsflügel zum guten Ton gehört, dass der eigene König nie lang rochiert hat. Er bleibt entweder auf dem Ausgangsfeld oder rochiert kurz!
Laubfärbung im Gegenlicht Micha führte nun also das Feld an, knapp vor Cliff und Sandra (jeweils 3,5) und ... erlebte am Freitag sein positionelles Waterloo mit der Doppelnull gegen die Verfolger und späteren Erstplatzierten. Jetzt kristallisierte sich heraus, dass es zwischen Cliff und Sandra zum Zweikampf um den Turniersieg kommen würde. Der Dresdner hatte übrigens die Sangerhäuser Garde mit Weiß (Sünder, Micha, Dicker) und dabei keinerlei Probleme. Insbesondere in den Freitagpartien gegen Micha und Konrad musste er eigentlich nur mit positionellen Spielweisen (nicht _die_ Hauptvarianten, aber doch recht bekannt) die Eröffnungsdefizite seiner Gegner ausnutzen. Micha konnte mit dem Anti-Leningrader Aufbau c3/Db3 rein gar nichts anfangen, und die Grünfeld-Verballhornung durch Konrad tat natürlich weh. Man kann die Eröffnung nicht spielen, wenn man nur die Abtauschvariante kennt. Ich meine natürlich weniger lange Varianten, die man unbedingt parat haben muss, aber die grundlegenden Ideen. Es sei noch einmal betont, dass ich großer Fan ihrer erfrischenden und mutigen Spielweise bin. C4s Entgegnung auf mein Bedauern war ein bekanntes Zitat: "Hätte sich Tal systematischer mit Schach beschäftigt, wäre er wohl nicht so gut geworden." Ich meine allerdings, dass die Jungs mit etwas mehr Grundlagen ihr riesiges Potential viel besser ausschöpfen könnten.
Kalli Die beiden Weißsiege von Cliff konterte Sandra mit zwei Schwarzsiegen. Erster Leidtragender war ich in einer Partie, bei der ich nicht allzu viel sah. Die Partie ist aber kurz und spektakulär und deshalb werde ich sie noch kommentieren. In der Nachmittagsrunde konnte sich Sandra souverän für die KEM-Niederlage gegen Micha revanchieren, der recht schnell den Bogen überspannte. Schon zwei Tage später kam es in der BOL zum erneuten Aufeinandertreffen und zur Revanche der Revanche bei wiederum gleicher Farbverteilung. Die Partie und Bauernstruktur würden mich natürlich interessieren ...
Vor der letzten Runde schaute alles auf die Auslosung, denn die war doch vorentscheidend für den Ausgang. Im Lostopf waren für die beiden 5,5er nur Hannes Langrock (4,5) und Joachim Walther (5). Der Quedlinburger war natürlich nominell schwächer und hatte sich nach einer Startniederlage gegen einen Spieler aus der zweiten Setzhälfte mit fünf Siegen en suite zurückgemeldet. Schließlich wurde er Cliff zugelost, der mit der zudem deutlichen besseren Wertung nun alle Trümpfe in der Hand hielt. Er gewann auch schnell, was Sandra immerhin in die komfortable Lage versetzte, mit wahrscheinlich jedem Ergebnis Zweite zu werden. Die psychologisch günstige Ausgangsposition konnte sie allerdings nicht verwerten – Hannes gewann souverän und wurde damit noch verdienter Dritter (O-Ton nach der Partie: "Das erste Mal seit fünfzehn Konstantin Gröger Jahren, dass mich jemand im Zeitverbrauch überholt hat."). Trotzdem natürlich ein klasse Turnier für Sandra. Cliff Wichmann wurde am Ende klarer Turniersieger und hatte nur gegen Sandra und Stefan Nowak kritische Momente nach zuvor aber wohl ausgelassenen Chancen auch in diesen Partien.
Ich selbst war zuweilen so langsam wie Flugo, aber nicht so konstant. Klare Gewinnstellung in zwei vergeigt und Probleme beim Rechnen. Das zeigte sich insbesondere am Freitag gegen Sandra und beim anschließenden Zittersieg gegen Hannes Wendling. Lichtblick war die Langrockpartie, und am Ende bin ich froh, nicht gänzlich von der Jungmeute geschluckt worden zu sein. Vom Rahmenprogramm sind noch der Ausflug mit der Hettstedter/Sangerhäuser/Aschersleber Fraktion in Halles großen Billard-Dart-Tempel "Kö" (habe leider Fotoapparat vergessen ...) und der mit zwei Autos zum Freitagtraining nach Löberitz zu nennen. Sogar (tiefgekühlte) Würstchen konnten wir noch auftreiben.
Siegerfoto Dem Turnier wünsche ich die Neuauflage. Die Fangemeinde wird sich aber sicher schon auf Schloss Mansfeld Anfang Dezember zur offenen Kreismeisterschaft Mansfelder Land treffen. Ich möchte noch einmal alle LeserInnen herzlich für den 4.12. nach Aschersleben einladen, wenn Schrödingers Katze im Ballhaus spielt (Uhrzeit geben wir noch bekannt). "Wanted man" ist mein Favorit unter einigen anderen. Die Musik lässt sich hier natürlich nicht wiedergeben, Textfragmente sind möglicherweise ohne Kontext problematisch. Trotzdem zum Abschluss aus "Wanted man":

So wie ein Puzzle auf dem Tisch,
wo man das Blau ins Blaue drischt,
und plötzlich schreit es ...

c. r.

PS: Dank noch einmal an Karin (nach Montpellier), Yogi, Tobi und Flugo für die Quartierstellung. Und natürlich an Flugos Bruder. Der wirkte noch stoischer als sein Artgenosse und hat seinen Platz im DDR-Relikt "Durchreiche". Wie Flugos Bruder heißt, weiß ich nicht.

» Saale-Herbst-Open 2006 | Zum Seitenanfang