Chess Classic Mainz 2004

Mainz, wie ein Unwetter winkt und kracht

Ähnlich wie Leutasch/Seefeld scheinen sich auch die ChessClassics in Mainz allmählich zu einer festen Einrichtung zu etablieren, soweit es Besuche von Master Lü, Ferdi und mir betrifft. Nun, sie haben es auch verdient, denn diese Veranstaltung ist in dieser Form einzigartig und das auf höchstem Niveau. Bevor ich aber nun mit gigantischen Zahlen (u. a. über 540 Teilnehmer inkl. einer dreistelligen Anzahl Meisterspieler beim Schnellschach-Open!) und Event-Backgrounds aufwarte, verweise ich hier lieber auf die Homepage der Schachtiger sowie auf die Publikationen der einschlägigen Medien.
Verwiesen sei hier nur auf den leicht brisanten Auftritt von Carmen Kass, Fotomodell und Schachverbandspräsidentin aus Estland, die in Mainz für die Olympiabewerbung von Tallinn in Konkurrenz zu Dresden warb. Viele Interviews musste in der Rheingoldhalle auch die frischgebackene Weltmeisterin Stefanowa geben. Der schachbegeisterte Oberbürgermeister der Stadt Mainz Jens Beutel ist dagegen schon legendär. Aus aktuellem Anlass funktionierte auch der Zweig Merchandising mit dem Verkauf von "Free Bobby Fischer" hervorragend.

Es bleiben daher nur noch die paar persönlichen Anmerkungen. Zunächst einmal etwas zu den Kosten. So ein Wochenende in Mainz ist natürlich auch eine monetäre Angelegenheit. 40 Euro Startgeld für 11 Runden Schnellschach hört sich so gewaltig an, wie es auch ist! Ganz klar trägt die Masse der Amateure wie überall gehörig zur Fütterung der Raubtiere bei - die Weltelite ist schließlich nicht aus persönlicher Freundschaft zu Gast. Andererseits erhält der geneigte Amateur auch beste Leistungen für seinen Obolus, nämlich hervorragende Spielbedingungen in der Rheingoldhalle, perfekte Organisation und ein bärenstarkes Teilnehmerfeld - es dürfte kaum irgendwo so leicht sein sozusagen hautnah von Großmeistern bis zur absoluten Weltspitze umzingelt zu werden. Das macht viel von der besonderen Atmosphäre in Mainz aus - beim Pausenkaffee irgendeiner der vielen immer neu erstehenden Grüppchen jedweder Couleur zuzuhören, zuzuschauen oder beizuwohnen. Dazu einfach die Partien der Spitzenakteure auf den Monitoren verfolgen. Fans der Szene kommen dort 100prozentig auf ihre Kosten.
Auch das städtische Umfeld kann das Wohlbefinden nicht schmälern.
Die für Schachspieler ausgeschriebenen Kontingente im Hilton, welches zum Gebäudekomplex der Rheingoldhalle gehört, sind knapp bemessen. Natürlich sind die ausgelobten 49 Euro für eine Unterkunft dieser Kategorie ein Schnäppchen, doch wer erhält es wirklich? Eine Monate alte Buchung aus diesem Kontingent musste dann doch mit 79 Euro berappt werden. Wer indes wie Matser Lü und Ferdi noch ein Minimum an Füßen hat, der ist z. B. im erstaunlich attraktiven Viertel um den Hauptbahnhof herum gut aufgehoben. Ich selbst hatte einmal mehr das Glück bei Ines & Kim Unterkunft zu erhalten. Kim's Freund wohnt übrigens in .. Gera .. Liebschwitz. Da war doch was ..?

Nun gut, der laue Sommerabend am Freitag (diesmal aufgrund Urlaubsmangels kein Fischer(960)-Schnellschachturnier) ließ uns entspannt zwischen Havanna und Heilig-Geist pendeln und nach einem Abstecher in den irischen Teil der Altstadt erst tief nächtens in die Federn sinken. 12 Uhr 15 Anmeldestop anderntags haben wir dann trotzdem gerade so geschafft um die ersten fünf der elf Runden zu absolvieren. Diese verliefen für mich langweilig bis ärgerlich, denn bei einem Feld von über 540 Aktiven dauert es naturgemäß einige Zeit, bis sich die Punktegruppen einigermaßen nivellieren, so dass sich zunächst klar Stärkere mit nominell Schwächeren abwechseln, was mit immer weniger Abweichung natürlich auch bis zum Ende so bleibt wenn die Ergebnisse den Erwartungen entsprechen (also der höher Gesetzte auch jeweils gewinnt). Es gilt also mal ein "Break" zu schaffen, denn schlägt man einmal einen Stärkeren so sind zwei weitere Runden gegen Stärkere garantiert! Und genau das schmeckt ja! Dummerweise passieren allzu häufig die "Breaks" der anderen Art, welche wiederum den nominell Schwächeren das zweifelhafte "Dauervergnügen" mit dem Protagonisten bereiten. Nun, mehr oder weniger holprig blieb ich in der Erwartungszone und kam daher (mit Elo 2082 deutlich tief nur in der zweiten Hälfte gesetzt!) auf 2/5 - das Break war mir nicht mehr gelungen. Gegen GM Berelovich hatte ich unnötig angegriffen, gegen FM van Harreveld mich verzettelt und nur der dritte Fehlschlag gegen Alexander Stolte ärgerte mich, weil es da relativ einfach war. Wie schon in Leipzig war der erste auch nicht der Tag von Master Lü, der mit unglaublichen 0,5 aus 3 bei 2x Weiß startete!! Dennoch hatte er natürlich am Ende einen halben Punkt vor und gar einen Ferdi, der insgesamt 1 GM und 4 IM als Gegner erhalten sollte und am Samstag den ersten IM-Punkt gegen Volke einfuhr. Also interner Stand am Abend: 1.Ferdi mit 3, 2.Jens mit 2,5 und 3.Mikly mit 2. Das Kuriosum des Tages erlebte jedoch der an Eins gesetzte Alexander Morozevich, der in den ersten drei Runden jeweils weibliche Spielpartner zugelost bekam! Darunter war allerdings nicht jene, die abseits des Brettes sein Rheingold war.
Wir ließen es uns an den Rheinterrassen munden, als der Himmel sich dramatisch verfinsterte. Wir vertrauten auf die Macht am Rhein, das Unwetter möge im gegenüberliegenden hessischen Wiesbaden verweilen und nicht die Landesgrenze in das rheinland-pfälzische Mainz überschreiten, doch das Wetter heutzutage hat ja keinen Respekt mehr vor natürlichen Strömen - der Rest vom Buntbarsch ging einige Meter weiter überdacht unter. Stürme, Platzregen und Grollen hätten uns dort nicht gehalten, doch das fehlende Brett trieb uns hinaus. Im bahnhofsvierteligen Calabria (gute Pizzen mit einzig akzeptablen dünnem Boden beginnend für 2,05 Euro!) also den Abend verzockt und Sonntag ab 10 Uhr wieder auf die Bretter gestiert. Ich war dabei noch eine Spur konzentrierter, hatte Ferdi mich doch mit einer sms geweckt, die ob der letzten Vorabendpartien mit "loser" begann .. prompt schaffte ich nach wackeligem Soll in Runde 7 endlich das erhoffte Break und zwar mit Schwarz gegen den neuen Berliner Verbandspräsidenten Dr. Matthias Kribben, der sich die aktiven Aufgaben mit seinem Vize Carsten Schmidt (Teilnehmer in Leipzig, das allerdings wohl eher wegen seiner traditionell guten Beziehungen zu Andree Rosenkranz und dem Frauenteam) zu teilen scheint. Leider habe ich von seiner neuen Funktion erst später erfahren, da ich ihn ansonsten gerne bei der Gelegenheit interviewt hätte. In Runde 8 dann das halbe Re-Break mit Weiß gegen Marcus Bee, der mein Remisangebot aufgrund Zeitnot bei klarem materiellem und stellungsbildlichem Übergewicht (Offizier mehr mit je einem Turm und Bauern auf derselben Seite) .. ablehnte. Ich war dumm genug das Remis nicht offiziell einzufordern. Entsprechend gelaunt zog ich mich in die Rheinterrassen zurück um das Frühstück nachzuholen. Doch das klappte in der engen Mittagspause bei dortigem Gedränge nicht mehr. Der Gesamteffekt dieser Ereignisse war höchste Konzentration und Kampfbereitschaft fortan. FM Dieter Puth kam etwas spät zu Runde 9 und schrieb mit, bis es zu spät war, Klaus Weber mokierte sich vor der Partie in Runde 10 bei seinem Nachbarn über die Rückkehr in die niederen Gefilde, nach 5 Zügen drehte er seinen Stuhl zur Seite um besser der Übertragung der Spitzenbretter auf der Leinwand folgen zu können, nach mehr als jeweils 30 Sekunden Bedenken meinerseits stand er auf um herumstreifenderweise noch mehr sehen zu können, nach dem Ende des Mittelspiels gab er dann auf. Ab da war's nett mit ihm! Runde 11 ergab ein Kuriosum - vor einem Jahr in Mainz wurde ich gegen FM Harry Schaack, den Macher und Herausgeber des Schachmagazins "KARL" gelost und nach meiner Niederlage plauderten wir recht ausgiebig und hielten seither Kontakt. Nun wurden wir wieder gelost und amüsierten uns über diesen Umstand. Nach meinem ersten Zug bot ich ihm Remis, was er allerdings unter Hinweis auf eine Wette unter seinen Vereinskameraden ablehnte! Dann verlor ich positionell allmählich den Faden und er taktisch - letzteres war stärker. Und so kam ich am Nachmittag auf 3/3, insgesamt 7/11 und gegen 8 Stärkere auf 4/8 bei 5x Schwarz. Uff. Und das reichte sogar noch für die Ratinggruppe! Ich auf dem "Treppchen" - fürwahr ein seltenes Schauspiel (zuvor nur in Zürich 1995 und Salzwedel 1998). Master Lü holte sich noch 4/6, unterlag nur Bubis und GM Gustafsson. Ferdi bezwang IM Solonar, unterlag zum Schluss IM Brendel und blieb auf 6 Punkten sitzen. Somit hatte sich die interne Rangfolge einmal komplett gedreht unter Beibehaltung der Halbpunkteabstände - auch ein Kuriosum. Das Calabria gab uns die verbrauchte Energie umgehend zurück während gegenüber die Mainzer Treffer in Stuttgart bejubelt wurden. Ich fürchte nur den Jubel jener am kommenden Wochenende.. Der Ausklang der müden Kämpfer vollzog sich später im Garten von Ensen, wo die Schmiede auch Pläne für das nächste Jahr gebar - 8 Punkte sind wettangekündigt .. ;-)

Mikly

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