Kassel

Stilbruch: Hotel vs. Stadthalle Kassel? Die Stadt im Herzen des Landes bleibt für gewöhnlich recht schlagzeilenlos, was man durchaus auch als Kompliment werten kann. Die Trucker denken vermutlich eher mit Grausen an die Kasseler Berge, die Gourmets schon zuversichtlicher an Kassler auf dem Teller und das fachkundige Publikum interessiert sich für die alljährliche documenta und/oder die Huskies und das dürfte es für die meisten auch schon so ziemlich gewesen sein. Nun also zog der Ramada-Cup-Tross von Hamburg die A7 entlang gen Süden und mancher aus der Karawane dürfte erstmals ebendort die Autobahn verlassen haben. Im Prinzip traf das auch auf mich zu obschon mir durch eine DSJ-Tagung wenigstens Baunatal etwa vertraut war. Indes, nach dem Löberitz/Leipzig/Merseburg-Wochenende nebst anschließender Dienstreise nach Saarbrücken war die Tasche am Donnerstag noch immer unausgepackt und sollte bereits schon wieder neu bewechselt werden. Während die Jecken von Köln ihrem Höhepunkt nachhaltig entgegentrieben, entwarf sich im Bewußtsein entgegen der getätigten Anmeldung plötzlich die Aussicht auf vier freie Tage, der Muße, den zu kurz gekommenen Menschen und den ewig unerledigten Diversitäten zu widmen, was sich fast unwiderstehlich aufzwängte und die Abreise immer weiter verschieben ließ, bis mich ein Ruck dann doch wieder in die Arena rief.
Das "Cult" am Bebelplatz Schon die nächtliche Ankunft nebst Inspektion der Lokalitäten suggerierte mir eine Ahnung der Richtigkeit. Nur ein paar hundert Meter vom Ramada entfernt wurde das Astoria zum Quartier. Mittig dazwischen der Bebel-Platz und das Areal darum herum eine Augenweide mit schönem alten Häuserbestand, vielen kleinen und teilweise höherwertigen Geschäften bestückt, die ansehnliche Friedenskirche, die Straßenbahn und nicht zuletzt auch eine gute gastronomische Auswahl. Mir drängte sich als angenehme Überraschung spontan die Idee einer Ähnlichkeit mit einigen Vierteln von Budapest auf. Als wäre im positiven Sinne ein bißchen die Zeit stehen geblieben, als läge ein sanfter, unsichtbarer Nebel über allem. Dazu mögen sicher auch das prächtige Winterwetter der Tage mit schneegepuderten Hügeln in Sichtweite sowie die schier unzähligen Antikläden (à la Falk miksa ut, der "Straße der First Saturdays") beigetragen haben, aber die beschauliche Atmosphäre schien mir doch fundamentaler Natur zu sein. Angekommen zum Miniurlaub, flugs das "Cult" zum "Stammlokal" erhoben (obgleich der Wirt alle Brett- und Kartenspiele strikt verbannt .. grr) und ab in die Federn - schließlich drohte bereits die erste Doppelrunde.
Aufgestanden und rüber zum Ramada geschlendert. Das Hotel ist äußerlich ein glatter Stilbruch in der Gegend - ein völlig uninspirierter Bau der sich zwar durch Verbindungsgänge mit der schmucken Stadthalle zu verknüpfen sucht und doch als der mißratene Symbiosepartner verbleibt. Denn die neoklassizistische Fassade der Stadthalle mit ihren ionischen Säulen und im Innern mit etruskischen Wandmalereien, mächtigen Kristalllüstern, dem gläsernen Nordfoyer und dem modernen Aschrottflügel läßt sich nunmal nicht mit einem rein funktionalen Quader paaren.
Analyse im Foyer Jedenfalls bei den alten Bekannten des bewährten Org.-Teams angemeldet und, der Nähe gedankt, zurück zum üppigen Frühstück. Durch den nächsten Spaziergang Richtung Ramada wurde es dann aber doch ernst, nachdem noch drei Nachzügler integriert wurden, was mich nach der neuerlichen Auslosung zwei Bretter nach vorne (!!) vom ältesten (Hans Sax) zum jüngsten (Tobias Hirneise) Teilnehmer der B-Gruppe rutschen ließ. Nach der Eröffnung kam mir der Junior beharrlich entgegen und es war ein gelungener Auftakt vollbracht. In Runde 2 saß ich .. richtig - Hans Sax gegenüber, der es sehr vorsichtig anging, doch als mich mentale Streiche bespukten, schien die Friedenspfeife angebracht. Hans sollte übrigens als nominell (DWZ) klar Schwächster mit ungeschlagenen 3,5 ein bulliges Ergebnis spielen, was meiner Generation einige Hoffnung für die baldige Zukunft geben sollte .. und durch die ungewürzte Kürze blieb wenigstens Zeit zum Streunen. Auf der abendlichen Suche nach einem Trog weckte ein kunstvolles Schachspiel in der Dekoration mein natürliches Interesse. Es war das Pharao, ein traditionelles ägyptisches Lokal und es schreckte mich auch nicht außer dem Wirtspärchen niemanden zu sehen. Wie sich kurz darauf herausstellte, mochte das an zwei Besonderheiten liegen, die dem Lokal zwar in der Mittagszeit, aber eben nicht den Abendstunden Zulauf bescherte - einerseits gab es wegen diesem Traditionsanstrich keinerlei Alkoholika und andererseits auch keine Musik wegen der Gema-Gebühren (die Leute sahen es nicht ein für Musik, die sie aus ihrer Heimat mitgebracht hatten Gebühren zu zahlen, wovon die dortigen Kreateure und Interpreten sicher keinen Cent sehen würden), was mir in der Gesamtheit das seltene und zweifelhafte Vergnügen verschaffte in einem Restaurant mein eigenes Schlucken hören zu dürfen. Nach dem leckeren Mahl wurden die Besonderheiten natürlich noch cultig getilgt.
Fahne? Die samstägliche Frührunde war dann mal wieder etwas zu früh für mich, als mir die Berechnung der ersten Komplikationen nicht wirklich gelingen wollte und ich daher nochmal vorzeitig Frieden schloß. Wie sich später in der zweiten heimischen Nachbearbeitung mit Ferdi zeigte, auch das viel zu früh, da diese Komplikationen sich relativ leicht mit besten Chancen für mich entzerrt hätten. Dafür immerhin stand erneutes Urlaubsstreunen mit immanenter Seelenbetankung auf dem Programm. Es waren also zwei Kurzremisen in Folge zu verzeichnen und im Sinne des ewigen Ausgleichs sollten die letzten zwei Partien daher ausgekämpft über die volle Distanz gehen.. Zunächst gegen Michael Ziegler, einem elolosen und langjährigen Nichtvereinsler und "Zurückkommer" mit dem letztlich besseren Ende für .. ihn. Nach der Analyse (er meinte nur etwa vierzig Prozent meiner Züge vorausgesehen zu haben) dinierten wir im .. Pharao, welches sich natürlich ansonsten wieder still und leer präsentierte. Das "Cult" hielt ihn darauf kaum, weil den Nimmersatt die Suche nach einem Blitzpartner(!) umtrieb. Ich schaute noch nach der Auslosung für das Finale und freundete mich mit einem nahtlosen Fortgang der erfolglosen Turniere an, denn mein Gegner sollte mit Wolfgang Weiler der nominell Stärkste sein, der zudem aus Brühl und Hamburg als Turniersieger(!) hervorgegangen war. Außer dem gewonnenen Respekt brachte die Vorbereitung auch deshalb nichts, weil er einfach alles im Repertoire zeigte. Das Match begann nach dem Packen und es gelang ihm trotz der zahlreichen gefundenen Partien durch das Skandinavische Gambit noch einmal das Spektrum zu erweitern. Schläfrig wie üblich hatte ich alsbald zwei Bauern Rückstand für nichts. Doch nach und nach wendete sich das Blatt - während er sich zunehmend im unbedingten Siegeswillen verstrickte, wurde ich immer wacher, eroberte zunächst einen Bauern zurück, dann den zweiten, brachte aus zunächst einer halben Stunde Rückstand schließlich sogar ihn in Zeitnot und dann war es tatsächlich noch via zweier Gabeln geschafft wenigstens ein relativ solides Ergebnis abgeliefert zu haben. Zweiter wurde übrigens mit dem Horster Marco Becker ein alter Löberitzer Bekannter.
Die unverhofften Endorphine drehten noch eine cultige Abschiedsrunde um hernach mit Cabrel Wilhelmshöhe nach Westen zu erklimmen.

Mikly

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