Der Saale-Schachbund (1)1)

Aufstieg und Untergang des bedeutendsten Schachverbandes in Mitteldeutschland

Nachfolgende Texte sind der Broschüre zum 125. Gründungsjubiläum von Konrad Reiß entnommen.

Vorbemerkungen

Außenansicht Bettmann's Hotel Der Saale-Schachbund kann mit Fug und Recht als Vorgänger und Wegbereiter des Landesschachverbandes in Sachsen-Anhalt angesehen werden. Da dürfte es schon einmal interessant sein, auf die Anfänge des organisierten Schachlebens zwischen Altmark und Burgenlandkreis sowie zwischen Harz und Elbe zu schauen. Der 125. Jahrestag der Gründung dieses Bundes sollte Anlass genug sein.
Deshalb begeben wir uns zurück in eine Zeit, die national durch die Reichsgründung des Jahres 1871 geprägt war. Die dabei zu verzeichnende Euphorie wirkte sich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch positiv auf die Kulturlandschaft mit vielen Vereins- und Vereinigungsgründungen aus. Auf diese für einige Jahre anhaltende Aufbruchstimmung setzten auch die Freunde des Schachspiels im mitteldeutschen Raum.

Am 18. Juli 18772) kam es in Leipzig anlässlich einer Feier zum 50. Schachjubiläum des Vorkämpfers des Deutschen Schachs Adolf Anderssen3) zur Gründung des "Deutschen Schachbundes". Damit waren die Schachspieler allen anderen Sportvereinigungen weit voraus. Die ersten richtungweisenden Kongresse dieses neugegründeten Bundes fanden 1879 in Leipzig und 1881 in Berlin4) statt. Für die mitteldeutschen Vereine war die Teilnahme durch das immer stärker in Mode kommende Transportmittel "Eisenbahn" gut möglich. Für die folgenden Kongresse in Nürnberg, Hamburg, Frankfurt / Main5) und Breslau6) galt das auch, doch die Entfernungen und der dabei zu veranschlagende Zeitaufwand waren erheblich.
Hier war der Deutsche Schachbund als Zentralinstitution überfordert und einfach eine Nummer zu groß. Es musste eine, den lokalen Verhältnissen entsprechende Lösung gefunden werden, die die Vorteile des "Deutschen Schachbundes" aufrechterhielt, aber auch durch eine örtliche Präsenz die Nachteile vermied.
Diese Lösung sollte gefunden werden, denn schon wenige Jahre nach der Gründung des Deutschen Schachbundes gab es ernsthafte Bestrebungen, das schachliche Leben auf den lokalen Ebenen zu verbessern. Dabei waren die im Halleschem Raum existierenden Vereine am schnellsten. Die gemeinsam ins Visier genommenen Ziele beflügelten die Ideen.

Gründung in Zörbig7)

Innenansicht Bettmann's Hotel Am Sonntag, dem 8. Oktober 1882 trafen sich in der nordöstlich von Halle/Saale gelegenen Stadt Zörbig die Vertreter dreier Vereine, um in "Bettmann's Hotel"8) einen Schachbund zu gründen. Diese Vereinigung erhielt den Namen "Saale-Schachbund" und wurde somit der erste Landesverband des Deutschen Schachbundes. Gründungsmitglieder waren die Schachclubs aus Halle, Löberitz und Zörbig.
Die Interessen ihrer Vereine vertraten dabei Kaufmann Otto Hensel und Herausgeber der "Saale-Zeitung" vom Halleschen Schachclub, Ziegeleibesitzer Franz Ohme vom Löberitzer Schachclub und vom Zörbiger Schachclub der Maurer- und Zimmermeister Carl Enke. Weiterhin war neben anderen Vertretern der Eisenbahnsekretär Felix Krauser aus Halle anwesend. Hensel, der später nach Berlin verzog, schrieb 1897 an den damaligen Bundessekretär des Saale-Schachbundes F. Tempel über die vollzogene Gründung:

"Krauser ist aber der Vater des Bundes, Franz Ohme seine Mutter, und ich war die Hebamme."9)

Mit einem Satz werden hier die Initiatoren des Bundes genannt. Diese gingen nun mit großem Elan an die Verwirklichung der sich selbst gestellten Aufgaben.

Versammlungspremiere in Halle

Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn schon am 21. Januar 1883 die 1. Bundesversammlung des neu gegründeten Saale-Schachbundes zur Austragung kam. Als Versammlungsort wurde Halle gewählt. Vormittags 10.00 Uhr empfing der Gastgeber die Bundesmitglieder im "Kronprinzen" zu einem Frühschoppen. Im Anschluss kam es 11.00 Uhr zur Generalversammlung. Hier wurde eine Bundessatzung10), die sich im Wesentlichen nach den Statuten des Deutschen Schachbundes richtete, beschlossen. Nur wenige Punkte wichen davon ab und bezogen sich hauptsächlich auf die lokalen Besonderheiten des Bundes.

Bundessatzung (1) Bundessatzung (2) Bundessatzung (3)

Aus dieser ältesten Satzung hier einige Auszüge:

§ 1
Zweck des Bundes ist die Förderung des Schachspiels im Saale-Gebiet (Halle a. S. und Umgebung) durch einen regen Verkehr der Bundesmitglieder untereinander, durch regelmäßig mindestens 2mal im Jahre abzuhaltende, mit Turnieren zu verbindende Bundesversammlungen, sowie durch Korrespondenzpartien, welche die zum Bunde gehörigen Clubs oder Einzelmitglieder desselben untereinander veranstalten.

§ 4
Mit der Verwaltung der Bundesangelegenheiten wird ein Ausschuss betreut, zu welchem jeder zum Bunde gehörige Club ein Mitglied aus seiner Mitte wählt. Die Ausschussmitglieder wählen sich einen Bundessekretär, welchem die Führung der gesamten Korrespondenz usw. obliegt.

Nach der Delegiertenversammlung und dem Mittagessen konnten nachmittags 14.00 Uhr die Turniere beginnen. Im Hauptturnier, das im KO-System ausgetragen wurde, siegte der in Halle immatrikulierte Medizinstudent Siegbert Tarrasch, der das Endspiel gegen Otto Rosenbaum, einem angesehenen jüdischen Kaufmann aus Dessau, gewann.
Eine Fahrt zur Saalschlossbrauerei an der Pferderennbahn oder ein Spaziergang durch die Stadt überbrückte die Zeit für die Gäste, die sich nicht an den Turnieren beteiligten, bis zum gemeinsamen Abendessen.
An den Turnieren beteiligten sich über 50 Schachfreunde. Inzwischen hatten sich zu den drei Gründungsvereinen Halle, Löberitz und Zörbig die Schachklubs aus Dessau11) und Eilenburg12) gesellt. Die Gründungsetappe wurde somit für alle Beteiligten erfolgreich abgeschlossen. Nun musste man daran gehen, den jungen Bund zu vergrößern und vor allem dadurch das Schachspiel noch mehr zu verbreiten. Die hier geplanten Bundeskongresse hatten also schon jetzt ihre Aufgaben.

Konrad Reiß

Fortsetzung folgt

1) Am häufigsten wurde der Name getrennt und mit Bindestrich geschrieben.
2) Der Schachkongress Leipzig 1877, E. Schalopp, Verlag von Veit & Comp., Leipzig 1907
3) Adolf Anderssen der Altmeister deutscher Schachspielkunst, Sein Leben und Schaffen, Dr. Hermann von Gottschall, Verlag von Veit & Comp. Leipzig 1912
4) Der erste, zweite und dritte Kongreß des Deutschen Schachbundes, Leipzig 1879, Berlin 1881, Nürnberg 1883, E. Schalopp, Verlag von Veit & Comp. Leipzig 1883
5) Der vierte und fünfte Kongreß des Deutschen Schachbundes, Hamburg 1885, Frankfurt a.M. 1887, J. Minckwitz, / Curt v. Bardeleben / M. Kürschner / H. v. Gottschall / J. Mieses, Verlag von Veit & Comp. Leipzig 1886 / 1889
6) Der sechste, siebente und achte Kongreß des Deutschen Schachbundes, Breslau 1889, Dresden 1892, Kiel 1893, H. v. Gottschall / P. Lipke / J. Mieses, Verlag von Veit & Comp. Leipzig 1890 / 1894
7) Viele Informationen dieses Berichts entstammen der Broschüre "50 Jahre Saale-Schachbund" von Dr. Fritz Kiok und Bruno Buchholz, die 1932 anlässlich des 50. Bundesjubiläums in Magdeburg herausgegeben wurde. Schon damals beklagte der Autor der Bundesgeschichte, Bruno Buchholz, das Fehlen von Bundesakten und Turnierberichten der Kongresse. Das hat sich natürlich nicht verbessert, doch habe ich versucht, durch weitere Quellen, vor allem aus der Löberitzer Schachbibliothek, diese Fehlstellen zu ergänzen und in die kurze Abhandlung einzubeziehen.
8) Bettmann's Hotel steht in der Langen Straße in Zörbig, wurde später von der Fam. Schneidewind übernommen und trug deren Namen, nach 1945 etablierte sich das Konfektionsgeschäft von Walter Petzold, nach 1990 die Firma Ernstings Family und jetzt befindet sich dort ein Schulungszentrum der Löwen-Apotheke Zörbig, Inh. I. Beier.
9) 50 Jahre Saale-Schachbund, Dr. Kiok / B. Buchholz, Magdeburg 1932, S. 3
10) Statuten des Saaleschachbundes, Plötzīsche Buchdruckerei (R. Nierschmann), Halle a.S., 1883
11) Dessau war mit einer Pause wegen zeitweiliger Vereinsauflösung von 1893 - 1897 immer Mitglied im Saale-Schachbund
12) Eilenburg war bis 1893 Bundesmitglied
Federzeichnungen: Franz Dießner/Halle

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