Rīga-Open 2012 (3)

Tag 1

Rīga

Morgendliche Wecker Und ich bin wach! Es wird gehämmert und geklopft, noch vor dem Wecker! Es ist Sommer und es ist wie daheim, wo mal die Dächer ausgebessert werden oder die Schneidemaschinen der Gartenarbeiter einen Höllenlärm verursachen. Hier ist es ein Dach, dem Hotel direkt gegenüber. Dabei hätte das Hotel selbst durchaus die eine oder andere Renovierung nötig. Einst ein klassischer Hotelpalast, wenn auch längst nicht mit dem ehemaligen Rossija in Moskau vergleichbar, ist es doch arg in die Jahre gekommen. Auch der Frühstücksraum gleicht eher einem prächtigen Ballsaal, was letztlich aber auch nichts an dem eher schlicht gehaltenen Büffet und sonderbarerweise auch nichts an einer merkwürdig stimmungslosen Kantinenatmosphäre ändert.

Rīgas Gassen Danach steht mal wieder Berichtswesen an. Doch am frühen Nachmittag werden die sonnigen Verlockungen draußen endgültig zu groß. Der erste Streifzug bei Tageslicht ernüchtert zunächst. Ríga scheint sich in den letzten Jahren im Zentrum zu einer durchgehenden Partymeile verwandelt zu haben. So ähnlich muss es in den einschlägigen Ecken einer berühmt-berüchtigten mediterranen Urlaubshochburg aussehen. Ganze Straßenzüge sind mit den Holzterrassen der verschiedenen Bars, Restaurants und sonstigen Etablissements zugepflastert, die Bürgersteige darunter komplett verschwunden. Der einstmals riesige Platz vor dem Dom ist nur noch halb so groß, der Rest ist gastronomisch vereinnahmt! Teilweise sind die wunderschönen Giebel der Altbauten vor lauter Schirmen kaum noch zu sehen. Immerhin, es gibt auch noch die etwas ruhigeren und nicht dem reinen Kommerz gewidmeten Gassen. Und auch das herrliche Schwarzhäupterhaus strahlt wie eh und je.

Registrierung in der Technischen Universität zu Ríga. Ich frage nochmal hinsichtlich der Übernachtungsgarantie (trotz rechtzeitiger Buchung gab es ungeachtet der gemachten Zusicherung keine Übernachtung mehr wie gewünscht) und wir einigen uns schnell. Und doch beschäftigt es mich noch eine ganze Weile. Solche Händel liegen mir ganz eindeutig nicht.

Eröffnung RTU-Open Ich drehe noch eine Runde durch die Gassen und bin gerade zur Eröffnungsansprache zurück. Normi, Frido, Paul und Judith haben schon Platz genommen. Dana fehlt! Und ihr Mann, Andris, der ebenfalls angemeldet war, gleich mit. Und auf noch eine Überraschung macht mich Normi aufmerksam: Die Bedenkzeit. 90 Minuten plus 30 Sekunden Inkrement. Okay soweit. Aber, und das haben wir alle übersehen, es ist nicht die Rede von 40 Zügen - die spielen nämlich keine Rolle; das ist schon die gesamte Bedenkzeit! Das ist schon unangenehm. Spielsaal Denn klar ist jetzt schon die baldige und ewige Zeitnot; es wird ab einem gewissen Zeitpunkt kein Aufstehen, kein Gang in die Caféteria oder, noch dramatischer, zum Örtchen mehr möglich sein. Wüsste man es nicht besser, könnte man den Veranstaltern ob des Umstandes, dass sich jenes Örtchen am anderen Ende des stattlichen Gebäudes befindet, geradezu einen Hang zum Sadismus unterstellen. Da gehen ein paar Minuten auf jeden Fall drauf, wenn man nicht gerade zu den olympischen Sprintern gehört, aber die sind ja derzeit alle auf der Insel. Und, last but not least, ließe sich ja einfach darauf verzichten, irgendwas zu trinken - aber, es ist eine richtig brütende, schwülwarme Wetterlage - die schwitzenden Leiber sorgen für ein unverwechselbares Schacharoma.
Die Bühne für die Spitzenreiter Es ist schon merkwürdig, warum diesem Geschwindigkeitswahn hinterhergejagt wird. Der Zeitplan hätte es allemal locker gestattet, nach dem 40. wenigstens eine Viertelstunde drauf zu schlagen. Aber hey, Schach soll doch olympisch werden. Zunehmend beginne ich zu begreifen, was damit eigentlich gemeint ist: Körperliche Leiden müssen her, ohne echte Herausforderungen auch an die physischen Gegebenheiten sollen die besten Gedanken nichts mehr wert sein. Aber vielleicht handelt es sich ja auch in Wahrheit um ein Schnellturnier, welches sich mit den 1-2 Runden pro Tag nur als klassisches Turnier zu tarnen versteht ...

Rīgas Plätze halbiert Jedenfalls beschert mir die übliche Erstrundenarithmetik den unter deutscher Flagge segelnden FM Malek. So ähnlich verhält es sich auch für die anderen und sämtliche Ergebnisse des ersten Tages bleiben ohne Überraschung. Zum Verlauf der übrigen Partien kann ich nichts beisteuern, zu sehr fesselt die knappe Bedenkzeit an die eigenen Quadrate und zudem hielt ich in einer sehr taktisch geprägten Partie bis zum, ähem, Schluss durch.

Hungrige Mitstreiter Auf einer der Gebäudeausmessungen begegnet mir ... Dana!
Ich habe es eilig, wir können nur wenige Sätze wechseln. Sie wird wieder für Lettland bei der Schacholympiade in Istanbul an den Start gehen und muss aber noch etwas für ein Diplom erarbeiten, was zusammen als logisches Ergebnis ergibt, für das RTU-Open keine Zeit mehr zu haben.

Tichu Für den Heimweg wähle ich auf Verdacht die Hauptmeile und tatsächlich sitzen da vier junge Schachspieler beim Tichu. Ein paar Tische weiter spielt ein Duo die Klassiker der 80er lautstark rauf und runter. Nett zu hören, aber Gift für jede Unterhaltung. Wir verabschieden uns in die entgegengesetzten Richtungen, liegt doch deren Unterkunft (Maritim) am anderen Ufer der Daugava. Es tröpfelt leicht. Doch dann bricht ein kurzes Gewitter los. Wenn es morgen früh regnet, dann besteht vielleicht Hoffnung auf kühlere Temperaturen und damit überflüssige Getränke. Im besten Fall aber ruhen die Dacharbeiten.

Mikly

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