IX. Dubai Open 2007

Dubai-Tagebuch, Teil 7

28. - 30.April 2007: Dubai

Sharjah Anderntags steht ein Ausflug in das Nachbaremirat Sharjeh auf dem Programm. Andi begleitet mich. Die etwa halbstündige Fahrt führt zwischen den beiden Emiraten vorbei an einer weiteren endlosen Baustelle – hunderte Hochhäuser werden gleichzeitig aus dem Boden gestampft! Etwas abseits dieser Verbindungsstraße, kaum auszumachen, entsteht eine eigenständige Chinatown, wie der Taxifahrer erläutert. Dort wird eine ganze Stadt von Chinesen für Chinesen gebaut. Die Chinesen tauchen im übrigen Dubai kaum auf; sie alle leben fast ausschließlich auf der Baustelle.
Behördenzeiten in Sharjah An der Grenze zwischen den Emiraten hält er an. Er darf nicht weiter. Ein anderes Taxi übernimmt und bringt uns direkt zum äußerlich imposanten, mehrteiligen Bauwerk des Souk. Drinnen geht in der zweigeschossigen Galerie zwar nicht der Eindruck von Größe verloren, doch wirkt die gähnende Leere, die fast völlige Abwesenheit möglicher Kundschaft, gespenstisch bis ernüchternd. Mittagsruhe hin, Wochentag her, entweder strömen die Massen in temporären Schüben oder dieser Souk muss schon glanzvollere Zeiten erlebt haben oder er war andernfalls das Produkt einer gigantischen Fehlplanung. Ähnliche Eindrücke bot uns Sharjeh hernach Mall in Sharjah fortlaufend mit allen Verkaufsarealen. Dennoch verschaffte uns der Souk höchst erfreuliche Erfolgserlebnisse! Andi fand endlich die so lange gesuchte arabisch beflockte Sportkleidung und mir ging mit Wael Koufry ein musikalisches Schnäppchen ins Netz. Das Glückskamel indes zeitigte nicht die erhoffte Wirkung. Vom Souk schlenderten wir an leeren Fischauktionsständen vorbei zur riesigen Lebensmittelgalerie. Auch darin waren viele Verkaufsflächen entweder ungenutzt oder geschlossen und wir faktisch die einzigen potenziellen Kunden.
Geschenkte Gurke? Zum verblüfften Erstaunen schloss sich dem Marktgebäude dahinter noch ein weiterer riesiger Obst- und Gemüsezeltmarkt an! Alle geöffnet und reich bestückt! Kunden allerdings auch hier Fehlanzeige! Angesichts der Verderblichkeit der dargebotenen Waren standen wir vor einem echten Rätsel – wer zum Kuckuck sollte das alles kaufen und verzehren? Zudem stammten die Lebensmittel ja noch nicht einmal aus heimischem Anbau, sondern kamen als Importe vorwiegend aus Indien und Iran. Solche Mengen, wann und für wen? Die auffallende Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit der Leute dort lenkte uns aber schnell von unserer Ratlosigkeit ab. Ein Fleischerpose Gemüsehändler schenkte uns einfach ein paar der neugierig begutachteten Gurken. Und als wir die sich daran anschließende Schlachtermeile passierten, luden uns die gelangweilten Meister des Fleisches zu fachkundlichen Begehungen ein und konnten gar nicht genug davon bekommen abgelichtet zu werden. Jeder wollte mit auf ein Foto. Sie würden im Internet zu sehen sein! Und jeder hatte ein strahlendes Grinsen und eine formvollendete Pose parat.
Ein Imbiss stärkt uns vor der Rückfahrt. Die Bretter rufen wieder.

CCC Ladies Club Zu Interviews kommt es nicht mehr. Mit den Schlussrunden werden alle Nationaltrainer zunehmend unmüßig. Das gilt auch für Igor Rausis, den Trainer der VAE, dem es in seiner zeitweiligen Eigenschaft auch als Nationaltrainer der Frauenauswahl nach den Bauarbeitern als einzigem Mann gestattet war, den Frauentrakt des Schachklubs zu betreten. Inzwischen wurde er von Alexandra Grishina abgelöst, die es zwar nur auf vergleichsweise geringe 2050 auf der Elowaage bringt, dafür aber eben weiblich und zudem aus dem nach wie vor führenden Schachriesenland ist. Das mag genügen. Genügt hat es auch, meinen Interviewwunsch abzulehnen. Neue Nationaltrainerin: Alexandra  Grishina Nachvollziehbar an ihrer Stelle, jede noch so geringe Öffentlichkeit zu scheuen und sei es auch nur aus kulturellen oder Unsicherheitsgründen.
Als etwas gesprächiger erweist sich dafür der Turnierschwede. Sein Bruder arbeitet als Pilot bei Emirates und lebt also aus rein geschäftlicher Motivation hier. Damit ist er in bester Gesellschaft mit den allermeisten Emiratbewohnern.

Shirins Höhenflug Apropos Training. Was tut sich eigentlich im Turniergeschehen, wenn sich der Blick mal von den Hinterbänklern abwendet? Die Überraschung schlechthin bleibt Shirin Navabi. Mochte man den Erfolg in der ersten Runde noch als glückliche Frontalbeihilfe des Gegners einordnen, so entwickelte sich daraus eine geradezu furiose Sequenz verblüffender Resultate. Und dabei handelte es sich nach der Auftaktkurzpartie um durchweg ausgespielte Kämpfe, deren spannungsgeladene und meist umringte Endphasen verschiedene Male zu begutachten waren. Letztlich stand eine um knapp 400 Punkte über der Ausgangszahl liegende Performance – ein mehr als respektables und stolzes Ergebnis. Eine relative Wertung hätte sie also bequem für sich entschieden.

Funktionierender Service Am Abend schlendere ich mit Andi vom Spielerhotel weg, den zunehmend mondäneren Boulevard hinunter, bis wir uns zur Erprobung des 5th-Avenue-Cafés entschließen. Neben augenweidlerischem Interieur weisen auch die häufig Shisha-umlagerten Außentische eine Besonderheit auf – die Service-Klingel. Wir nutzen sie einmal eher aus Versehen und erfreuen uns verblüfft am Funktionieren. Auch die Getränke- und Speisekarten sind pure Nahrung für jede Phantasie. Die halbe Liste lassen wir uns vom Service erläutern. Besonders reizt mich das Getränk Mahjoon. Der Kellner erläutert mir, das käme aus Iran und bestünde aus einer Mischung von Joghurt, Bananen, Datteln, zerriebenen Mandeln und weiteren Geheimnissen. Ich bestelle diese außerordentlich schmackhafte wie sättigende Kreation natürlich.
Drink zurückverdient: Backgammon Schließlich ist meine sang- und klanglos verlorene Turnierwette gegenüber Andi abgetragen. Er verabschiedet sich und ich ziehe weiter. Doch ich komme nicht weit. Schon am Ende des gastronomischen Blocks werde ich aufgehalten. Zwei Kellner einer Bar vertreiben sich draußen rauchend die Zeit mit Backgammon. Kaum zugeschaut bin ich bereits vereinnahmt. Mein Gegenüber ist Ägypter und zu Wetten aufgelegt. Während der Partien kommt es öfter zu eifrigen Wortgefechten mit seinem syrischen Partner, der mit mancher spieltaktischen Entscheidung meines Kontrahenten nicht einverstanden zu sein scheint. So verdiene ich mir immerhin einen weiteren Drink.
5th Avenue Es ist mittlerweile schon wieder nach 3 Uhr und Müdigkeit schleicht sich über das Genick. Keine Neigung mehr den Rest zu Fuß zu absolvieren. Auf der Suche nach einem Taxi schlendere ich der Straße entgegen, als mich eine schwarze Limousine mit geschwärzter Verglasung noch am Bürgersteig zum Halten veranlasst. Der Fahrer lässt die Beifahrerscheibe herunter und fragt mich ob ich nicht einen Wagen bräuchte. Spontan rasseln mir etliche Assoziationen durch die Neuronen: Verwechslung, Entführung, Raub, Versteckte Kamera .. ?
His Highness on wallpaper Ich steige ein.
Wir kommen ins Gespräch und ich erfahre, dass diese Limousine sehr wohl ein Taxi sei, allerdings normalerweise den Gästen des hiesigen Luxushotels vorbehalten. Und da ich mich gerade vor dem Hotel aufgehalten und so gewirkt hätte, als suchte ich ein Taxi, habe er mich gezielt angefahren. Um diese Zeit wäre sowieso nichts mehr los und es spiele ohnehin keine so große Rolle, ob ich Gast des Hotels wäre oder nicht. Unser Gespräch entwickelt sich. Wir tauschen die Herkünfte aus und die Neugier reitet mich. Er ist Inder. In Dubai seien 5% Araber, 40% Inder, 20% Pakistani, 15% aus Bangladesh und bei den übrigen 20% handele es sich um Afrikaner und Chinesen sowie Bevölkerungsgruppen vom Rest der Welt.
5th Avenue Mich interessiert die konkrete wirtschaftliche Motivation hierher zu kommen. Sein Schicksal teilen die meisten im Emirat. Der Lohn in Dubai richte sich natürlich nach dem Beruf, aber vor allem nach dem Lohnniveau des Herkunftslandes. Im Regelfall würde also zum Beispiel ein Engländer für die gleiche Arbeit deutlich besser bezahlt als ein Somalier. Angesichts der Bevölkerungsstruktur sind die Löhne in Dubai relativ niedrig. Trotzdem sind diese Löhne wiederum recht attraktiv, verglichen mit denen im Heimatland. Sein Irans Frauen beim Resultatcheck Einkommen betrüge pro Monat etwa 2000-2300 Dirham, also 400-460 Euro. Zwar sind die allgemeinen Lebenshaltungskosten jenseits der Luxusareale ausgesprochen gering (er verbraucht nur etwa 500 Dirham für Lebensmittel und 250 Dirham für Sonstiges), aber die Mieten sind vergleichsweise teuer. 750 Dirham muss er für ein einziges kleines Zimmer berappen. Den Rest seines Monatslohns, also 500-800 Dirham (ca. 100-160 Euro), schickt er an Frau und Kinder in Indien. Davon können diese dort sehr gut leben. Dafür sieht er seine Sharjah: Fleischersiesta Familie nur wenige Male pro Jahr. Seit 12 Jahren funktioniere das schon für ihn. Viele bleiben viele Jahre fern der Heimat, manche so lange sie in Dubai geduldet sind. Wie lange das für ihn noch so weiter gehen soll, weiß er nicht. Es gäbe keine Perspektive das zu ändern. Gedankenverloren sinke ich in den Schlaf.

Die Tage werden schon deutlich kürzer bzw. die verbleibenden Tage des Aufenthalts immer weniger.

Mikly

(Fortsetzung folgt)

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