Tief im Osten

Moskau-Tagebuch, Teil 3

Nachtblitz Nun, da der "sportliche" Teil von allen Kleinmeistern, jenen, die es werden wollten oder nicht konnten und solchen, die es nie werden wollten, aber vielleicht konnten, absolviert ist, mag ein kurzer Blick darauf gerichtet sein. Das Turnier teilte sich in zwei A- und je ein B- und C-Turnier auf, wobei sich die ABs (A1, A2, B) einen separierten Saal am westlichen, also Kreml-Flügel teilten (B vor-, A nachmittags) und C mit einem Raum offen zwischen einer Rezeption, einer Bar, einem Intourist-Schalter und dem Internet-Cafe vorlieb nehmen durfte. Dabei war die Bar unmittelbar angrenzend und nur etwa zur Hälfte durch einen hauchdünnen Vorhang leicht sichtbeschränkt.
Generationen am Brett Es handelt sich um jene Bar, die alsbald zur Hauptsammel- und Verweilstätte für Dennis, Jacob, Jens und mich wurde, nicht zuletzt auch wegen höchst amüsanter, weil äußerst sprachloser Flirtereien mit Julya und Sash jenseits des kleinen Tresens. Für den schmalen Dennis zählten die beiden unter anderem am Sonntag zwischen Mittag und Abend innerhalb von weniger als sechs Stunden schlappe zehn Halbe! Kein Wunder, dass er dann erstmal eine etwa dreistündige Auszeit nehmen musste um wieder fit für die nächtliche Klubrunde zu werden.
Julia und Sasch Die Nähe zu eben dieser Bar, zumindest für die hinteren Bretter, sofern sie nicht gänzlich hinten waren, also meine jederzeit bevorzugten, hatte jedenfalls zu den frühtäglichen Gefechtsterminen kuriose Szenen hinsichtlich der Spielbedingungen zur Folge, da z.B. im Barbereich geraucht werden durfte und daher, so denn gewollt, ich nur in zwei Metern Abstand zu meinem Brett rauchen konnte - bei weitgehend freier Luftzirkulation versteht sich! Natürlich gab es auch beständig von einer oder mehreren der erwähnten Umgebungsfaktoren mehr oder weniger Geschnatter bis Gezeter, Handytöne aller Art, lautstarke Telefongespräche mit diesen u.v.m., was u.a. zur Folge hatte, dass die unserorts so begehrten Die Hallen des C-Turniers Mobileruptionen auch im Betreff der Spieler von allen Teilnehmern geflissentlich ignoriert wurden. Die Schiedsrichter waren ohnehin weitgehend schmerzlos und nur aufmerksam, wenn es um das Ende von Partien ging und die gesammelten Werke ihrer arg flatterhaften Sammlung zugeführt werden sollten. Reibungslos blieb es dennoch allemal. Etwas behaglicher hatten es die Meister und Anwärter in ihrem Separee, gar geschützt durch eine Sicherheitsschleuse a la Flughafen oder Calvia, die zuweilen allerdings auf sinnleerenden Daueralarm geschärft wurde. Das entband wiederum die hintersten Bretter nicht eines gewissen Bahnhofes in Form von hoher Durchlauffrequenz, die sich naturgemäß gegen Ende der Partien nochmal steigerte und an den gangseitigen Spielstätten hautnah mitempfunden werden durfte. Internationale Härte. Im gleichen Saale fanden sich übrigens auch unkommentierte Übertragungsmonitore für Zuschauer mit der beachtlich hohen Anzahl, Chucky entrückt wie immer wenngleich nicht immer gut aktualisierten Abbildung der ersten 20 Bretter, von denen jedoch lediglich die ersten 3 nicht auch ansonsten gut einsehbar gewesen wären. Das Gestühl indes verschaffte immerhin Stehpausen. In Runde 4 begab es sich, dass grand maitre Ivanchuk höchstselbst vor diesen Monitoren Platz nahm um sein eigenes Doppelturmendspiel mit Minusbauer gegen Kharlov in Augenschein zu nehmen, bis er abrupt aufstand, zum Brett zurückkehrte und .. aufgab. Auf Luxus a la Ramada durfte weitgehend verzichtet werden. Weder gab es irgendwo einen Aushang der Startrangliste, so dass zur Ermittlung beispielsweise der gegnerischen Elo ein Internetbesuch erforderlich wurde, noch gab es Namensschilder, Analyseräume oder etwa sonst einen möglichen Service rund um die Turniere, mal abgesehen von freien Wasser- und Colaflaschen aus dem Kühlschrank für die Spieler, solange der jeweilige Vorrat reichte.
Letzte Runde? Für die BC-Turniere galt die FIDE-Bedenkzeit von 90 Minuten Grundvorrat für die Partie plus 30 Sekunden pro Zug, was eindeutig einer Verkürzung des unsererseits gewohnten Verbrauchs gleichkam. Einerseits ermöglicht diese Regelung zwar die Abwicklung technischer Abläufe ohne Gefahr eines plötzlichen Exitus, andererseits bedeutet es andauernde Zeitnot, wenn der Grundvorrat erstmal auf wenige Minuten zusammengeschmolzen ist. Wie soll man sich mit z.B. noch 5 Minuten auf der Uhr erlauben können ein WC aufzusuchen, geschweige denn einen Kaffee zu holen oder Ähnliches? Wie viele Züge muss man schnell hintereinander ausführen um sich so etwas wieder gestatten zu können? Wie viele Partien werden simpel durch eine unüberwindbare physische Problemstellung entschieden? Es gilt, rechtzeitig jegliche "Gefahren" dieser Art möglichst zu minimieren!
Crowded house Die verwendeten Digitaluhren schränken die Ergebnisse der Fernsicht von Rauchern und Barkaffeetrinkern erheblich ein, da sie durch nichts außer einem kleinen Symbol auf der Digitalanzeige erkennen lassen, wer denn am Zuge ist.
Das von Sponsor Aeroflot angebotene Pauschalpaket beinhaltet Startgeld, Flug und Übernachtung im Rossija (ohne Frühstück) und ist mit etwa 500 Euro akzeptabel. Hinzu kommen neben den üblichen Reiseaufwändungen noch Visa-Gebühren in schwankender Höhe (von 35 bis 165 Euro, je nachdem wie eilig es mit der Ausstellung ist) sowie die von der Fluggesellschaft weitergereichten Gebühren (etwa 30 Euro). Aber zurück zum "Leistungsbereich". Master Lü alias Jens Lütke im B-Turnier lieferte trotz lebenswandelbedingter ähnlicher Einschränkungen der Konstitution ein recht ordentliches Ergebnis ab. Citytour Mit den 5/9 (3,4,2) gibt es ein paar wenige Elopunkte drauf. Und doch hat er sich ziemlich geärgert über seine Vorschlussrundenniederlage gegen den Armenier Babujian, vernichtete sie doch vage Hoffnungen auf eine IM-Norm. Ganz entgegen dem übrigen Verlauf hatte er eine Spur zu ängstlich agiert und ging schnell unter. Eindrucksvoll dann seine prompte Wiederkehr zum Schluss gegen Viktoria Bashkite (noch wohlbekannt aus Calvia) mit einer schönen Angriffspartie.
Die Burger Delegation wies nur das fröhliche Gesicht ihres Reiseleiters auf. Dapepo musste nach sieben Runden krankheitsbedingt die Segel streichen und blieb so auf zwei Punkten sitzen.
Karpov Ja, auch Euer Berichterstatter hat teilgenommen. Die drei Pünktchen sind gewiss ein erbärmliches Resultat und nicht eine Partie weist auch nur annähernd zeigbares Niveau auf. Zu gravierend dominierten die Faktoren, die den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen. Festsitzend in der Desasterzone bleiben so allenfalls noch statistische Aspekte aufzuzählen. Allein viermal(!) waren Schweizer Spieler meine Gegner. Zwei Russen, ein Däne, ein Niederländer und eine Iranerin brauen das internationale Konglomerat. Sehr frühzeitig die Minusgrade jenseits der Rossija-Mauern drinnen nachempfunden blieb ich in allen neun Partien Smyslov ohne auch nur einen einzigen Gegner mit Elozahl, was mich in den Genuss brachte, das Gemetzel wenigstens ohne Wirkung auf das Maß aller Caissten absolvieren zu dürfen. So blieb rasches Abhaken und die Pflege einer jovialen Grundhaltung klar begünstigt. Eine komplette Runde mit Freundschaftspartien, eine Schachreise nach Moskau und ich hätte sämtliche Partien ebensogut in einem Cafe spielen können! "Goldene Zeiten", die durch die beharrliche Senkung des Pegelstandes nicht mehr sehr lange möglich sein dürften. Nicht ausgeblieben sind dennoch natürlich die Nachanalysen aller Partien, zuletzt auch häufig gemeinsam noch mit den beiden Jungs aus dem skandinavischen Vorposten und fast immer bei gleichzeitiger Einnahme körperlicher Stärkungen und Schwächungen. Zu weiteren Teilnehmern (Dennis & Jakob versprachen noch selbst zu berichten!) Nastya oder gar Meistern enthalte ich mich mangels eigener Aussagemasse gerne eines Kommentars. Jeder mag sich auf der offiziellen Seite und durch die zu erwartenden einschlägigen Berichte einschlägiger Berichter bei Interesse selbst einen Überblick verschaffen. Nur, ein wenig schade war es schon, dass die zur Eröffnungsfeier anwesenden Karpow, Kortschnoi und Smyslow nicht am Brett bewundert werden konnten.

Fortsetzung folgt ...

Mikly

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