8. Neckar-Open Deizisau

Die Jagd auf die Norm

Volker Seifert Seit mir Jewgeni D. vom Deizisauer Schachopen vorschwärmte, träumte ich davon, es mitzuspielen. Welcher motivierte Spieler würde schon "Nein" zu einem starkem Schachturnier sagen?? Und wie es der Zufall wollte, hörte ich freitags abends eine Woche vor Ostern beim Dresdner Fußball der Schachspieler, dass Volker Seifert nächste Woche nicht zum Fußball kommen könne, da er nach Deizisau fährt. Prompt sprang ich auf, auf den Zug. Oder besser, stieg ein, in das fahrende Auto, denn Volker bekam den großen VW von Papa mit Rückwärtsfahrhilfe. Eingeweihte mögen sich an dieser Stelle an Ambrosi erinnern. Per Pfeif- und Piepton weist es den Fahrer auf rückwärtige Hindernisse hin. Tolle Technik.

Am Donnerstag ging es los. Auf nach Schwaben. Einfach nur auf die Autobahn und immer gen Südwesten. Nach dem Fahrerwechsel bei Plauen, nun durfte ich, regnete es auf einmal. Aber auch Aquaplaning konnte unser Eintreffen nicht verhindern. Noch ging es immer geradeaus. Nach erfolgter Ankunft, Meldung und erster Schiebung (Volker macht Remis gegen Markus Ragger, seines Zeichens Österreicher und noch auf der Staatsmeisterschaft aktiv, kam erst zu späterer Stunde angeflogen) brachte mein Chauffeur mich, mein Gepäck und einen jungen polnischen IM, der mein Zimmernachbar werden würde, zur Unterkunft. Das katholische Bildungshaus St. Antonius. Der Sachse würde hingegen mit dem ÖSI in einem anderen Hotel Quartier beziehen. Aber kein Problem, ich bin schon groß und kann auch mal ein paar Nächte alleine schlafen. (Muss ja niemand wissen, dass ich immer das Licht anließ!) Zurück im Spiellokal begrüßte Volker etliche bekannte Gesichter. Kaderspieler, über die ich sonst nur in der Zeitung lese, fast ein "Who is Who?" des deutschen Nachwuchsschachs. Wenn Kaderspieler reisen ...

Turniersaal Ich traf auch ein paar bekannte Gesichter: Sven Grüner, Nils Nichelmann (selbst den kannte Volker -> Hettstedter Schachlager) und Lorenz Drabke, der, seit ich beim Halbmarathon seinen ärgsten Konkurrenten bezwang, gut auf mich zu sprechen ist. Blieb nur noch ein Ziel. Tja. Volker? Will IM werden, braucht noch eine Norm und die Zahl (2400 ELO) ! Markus Ragger? Hat mit seinen 16 Jahren schon die Zahl, ihm fehlen aber noch mind. 3 Normen. Ich? Zahlen sind Schall und Rauch laut einem Freund an der LSJ-Spitze. Also warum nicht: ich will auch eine IM-Norm schaffen. Dazu benötigt: Performance über 2450 ELO und vier Nationen in der Gegnerschaft. Man darf ja mal träumen dürfen. Nachdem auch das Ziel klar war, konnte es losgehen!

Der Turnierleiter Sven Noppes erklärte nicht nur das Turnier für eröffnet, sondern es kurzerhand auch zum größten Schachturnier der Welt. Größer als AEROFLOT, da die Russen nicht zeitgleich spielen, und größer als Capelle la Grande, da mehr Teilnehmer. Und ich war dabei. Hurra. Für mich kam in Runde 1: Lubomir Ftacnik, Siebenter der Setzliste.
Lorenz und Lubo Ein klasse Gegner zum Auftakt, aber keine klasse Partie. Sicher wurde ich abgetragen, was soll's, wird's halt nichts mit dem Norm. Fast dachte ich, ich hätte nicht mal etwas gelernt, aber als Sven Grüner meinte, der Herr GM würde auch analysieren, ergriff ich die Möglichkeit und lauschte seinen Ideen. Ein sehr sympathischer Mensch, dem ich den Punkt vom ganzen Herzen gönne.

Nach einer ruhigen Nacht gab es für mich am nächsten Morgen ein böses Erwachen: auf dem Frühstücksbuffett war weit und breit keine Wurst zu sehen. Sind Katholiken Vegetarier?? Aber in Löberitz, da gab es doch immer so leckere Sachen ... vom Grill. Komisch. Also die Marmelade aufs Brötchen geschmiert und ab geht's. Per Fahrservice, von den Deizisauer Schachfreunden gestellt, ging es zum Turniersaal. Unterwegs noch kurz mit dem Kollegen gesprochen, der in der ersten Runde am ersten Brett gespielt und verloren hat. Alexander Postojev (ELO: 2137), ein Typ, der mir noch öfters auffiel. In den nächsten beiden Runden bezwang ich meine Gegner sicher, weshalb ich zur Belohnung einen etwas stärkeren bekam. Aber erst war wieder Nachtruhe angesagt. Bis 10 nach Sieben gelang es mir zu schlafen, dann weckte mich ein zartes 5 maliges Piepen eines Weckers, welches nach einer Sekunde Pause wieder von vorne anfing. Leider hörte es mein Zimmernachbar im Gegensatz zum mir NICHT und ich konnte nicht mehr schlafen. Also aufgestanden und duschen gegangen. Abermals gab es ein böses Erwachen. Wann geht endlich der AUFBAU WEST los? Genug Gelder Helene Romakin sind in den Osten transferiert wurden, wenn sich die westdeutschen Mitbürger nicht mal mehr warmes Wasser am Morgen leisten können. Dafür gab es aber Salami und Schinken. Wenigsten etwas. Erfrischt und gestärkt, ging es ans Werk. Ich bezwang den Gegner in Chinaschachmanier. Als ich dachte, ich steh schlecht, stand ich gut, was erst der Gegner durch langes Überlegen und dann, durch die Zeit zum Nachdenken animiert, auch ich erkannte. Mit anderen Worten: ich dachte und verlier einen Bauern, aber dafür konnte ich mir eine Figur abholen. 3 aus 4. Supi. Damit war ich auf einmal Punktbester von unsere Reisegruppe. Volker und Markus, den die sachsen-anhaltinischen Mädels aus WM-Zeiten noch kennen dürften, dümpelten bei 2,5 Punkten. Aber leider, leider konnte ich den Vorsprung nicht lange halten. Nach der Niederlage gegen FM Marian Kantorik, waren sie schon wieder vorbeigezogen. Der Slowake verteidigte sich mit Aljechin, worüber ich mich freute. Nach der chancenlosen Niederlage in der OBL gegen Jürgen Heinz (Nickelhütte Aue) hatte ich mir etwas gegen Aljochin angeschaut: aber irgendwie lief die Partie nicht wie erhofft. Zum Schluss hatte ich gar das Gefühl, eine ebenso chancenlose Partie wie in der Oberliga gespielt zu haben. Es ist schon eigenartig, wenn man entweder relativ sicher gewinnt oder sicher verliert. Wo bleibt der Spielcharakter? Übrigens hatte mein weckerklingelnlassender Nachbar meinen Erstundengegner GM Ftacnik geschlagen und spielte nun an Brett eins. Aber die fünfte war auch nicht seine Runde.
Marco Baldauf Der vermißte Spielcharakter kam in Runde 6. Gegen Ivo, aber nicht IVO gewann ich einen Bauern in der Eröffnung, um mir später die Dame wegfangen zu lassen. Mit Ach und Krach konnte ich die gegnerische Dame angreifen und es nur zu einem Abtausch werden lassen, aber dafür waren meine Bauernstruktur und der Mehrbauer futsch. Mit letzter Müh hielt ich remis. Gegen Walter Pohl lief es eher nach meinem Geschmack: ich kam zur geliebten langen Rochade, fühlte mich pudelwohl und machte den Punkt. Langsam bekam ich das Gefühl, dass ich nur gegen Deutsche gewinnen konnte. Hatte ich doch bisher nur gegen weitgereiste Schachfreunde Punkte abgegeben. Aber leider hielt ich mich nicht daran und kam am nächsten Tag (der morgentliche Wecker des Polen piepte wirklich nur zweimal) gegen FM Hammes unter die Räder. Die Scharte bügelte ich aber durch einen sicheren Sieg gegen Schachfreund Ortmann in der abschließenden Runde aus und konnte auf ein fast zufriedenstellendes Turnier zurückblicken. Einziger Wermutstropfen: V. Seifert landete trotz eines durchwachsenen Turniers noch zehn Plätze vor mir. Scheibenkleister. Zum Turnierausklang konnte ich im Blitz gegen Lorenz D. meine Bilanz aufpolieren, 2:1 entschied ich den Kampf für mich, bevor er sich zum Bahnhof flüchtete. Damit verwehrte er mir die Chance auf den Ausgleich im ewigen Duell. Aber den schieß ich beim nächsten Mal. Versprochen.

Wo ist Lorenz? Sehr angehm empfand ich die Turnieratmosphäre. Trotz der Größe des Turniers gab es kaum oder keine Streitfälle. Der Fahrtservice von und zu den Hotels ist wohl einzigartig in Deutschland. Die Verpflegung vor Ort war auch ansprechend, die Chili-con-Carne ein Gedicht. Ich ließ mir das Skat-ähnliche Spiel aus Österreich beibringen: Präferaanzen. Unterschied zum Skat: Die Ösi zählen keine Punkte, sondern nur Stiche und der Skat besteht aus 3 Karten. Dafür brachten wir Markus (und Lorenz: "Ich hab schon 5 Monate nicht mehr gespielt!") Skat bei. Sehr unorthodox die Schnippelweise von Lorenz. Einmal wollte er gar eine Zehn fangen, die er selbst gedrückt hatte. Arkadi Naiditsch wohnte der Runde ebenfalls bei, aber fragte jeden Tag, warum wir nicht Doppelkopf spielen täten. Unser Argument, wir hätten nur ein Skatblatt, ließ er nicht gelten. Dafür begeisterte er durch einen Spruch, der seine ganze Wirkung erst entfaltet, wenn man die Mischung aus russischem Akzent und Ruhrpottfärbung beimengt.

Auf der Rückfahrt aus dem Schwabenländle nahmen wir noch die Bindrichs mit, welche mir von dem Aeroflot-Open vorschwärmten. Und im Gegensatz zur IM-Norm kann ich mir diesen Traum sogar selbst erfüllen. Aljoscha - ich komme. Irgendwann.

Nudel

SPRÜCHE

"Der Volker ist UNGLAUBLICH!"
Arkadi Naiditsch, wenn Volker wieder mal keinen Kuchen mitbrachte, oder auch zu sonst zu jeder Gelegenheit.

"Schach ist ein kompliziertes Spiel!"
Lubomir Ftacnik bei der gemeinsamen Analyse, wenn ich spontan ein Zug vorschlug, Lubo hingegen noch über die Stellung nachdenken wollte.

"Schach ist ein einfaches Spiel!"
Lubomir immer noch bei der Analyse, wenn mein Vorschlag totaler Nonsens war und eine billige (mehrzügige) taktische Widerlegung fand.

"Kennst Du das Mädchen, das da spielt?"
"Ja, Helene Romakin!"
"Wenn ich so konzentriert wie sie am Brett sitzen würde, wäre ich schon lange Großmeister!!"
Arkadi Naiditsch nach dem Kiebitzen am Brett von Helene Romakin im Gespräch mit Lorenz Drabke

"Wie heißen die zwei Karten, die extra liegen und keinem gehören?"
Lorenz Drabke beim Skatspielen

"Das ist illegal!"
Lorenz Drabke reklamiert eine vermeintliche Regelwidrigkeit beim Skat.

"Nur Einbahnen!"
Markus Ragger erklärt die Straßensituation ein Berkheim. Gemeint waren Einbahnstraßen.

"Talandiert"
Markus Ragger´s Lob für jedermann.

"Hey, da klingelt ein Handy!"
Oswald Bindrich, nachdem Volker den Rückwärtsgang eingelegt hatte.

"Foahr groaad!"
Markus Ragger als Anweisung gebender Beifahrer.

"Rrracker, gehst´d mit Fußball spielen?"
Marco Baldauf auf der Such nach Mitspielern.

"Huhu!"
Essensfrau zu Markus Ragger bei der Wunschaufnahme.

"Du hast Remis gespielt gegen Marco [Baldauf]? Nicht schlecht!"
"Ach, der hat Remis geboten,weil er Fußball spielen wollte!"
Jens Windelband ergründet Sven Grüners Erfolgsgeheimnis.

VS: "Dann schlaf gut!"
JW: "Bis der Wecker klingelt!"
VS: " Vom Polen!"
Volker Seifert und Jens Windelband bei der Verabschiedung am vorletzten Abend.

"Warum sie nur die Nerven verloren haben? Die hätte ich persönlich nach der Siegerehrung noch zum Bahnhof gebracht! Bei meinem Fahrstil kein Problem!"
Sven Noppes auf der Siegerehrung, nachdem Arkadi N. und David B. nicht auf die Bühne kamen, weil sie schon zum Bahnhof aufgebrochen waren. Kommentar meinerseits: Die Macher der Schachvereine bzw. -turniere sind überall gleich!

"Wann schließt die Messe?"
"Jetzt!"
Dialog zwischen mir und einem Budenbesitzer auf dem Stuttgarter Frühlingsfest, welches Helene Romakin, Markus Ragger, Volker Seifert und ich montags abends um 11 Uhr besuchen wollten.

"Alexander hat die IM-Norm um einen halben Punkt übererfüllt!"
Wenn Träume wahr werden, Sven Noppes auf der Siegerehrung über Alexander Postojev, der 6 Plätze vor mir gesetzt war und nach seiner Erstrundenniederlage 6,5 aus 8 holte.

"Entweder gehe ich zur Sportfördergruppe oder ich lass mich ausmustern!"
Volker Seifert plant die künftige Wehrdienstzeit!

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