Interview mit Mark Gluhovsky (Teil II)

Herausgeber der russischen 'Schachrevue' (Shahmatnoe obozrenie)

geführt im Sachový Vlak (Schach-Zug) am 17. Oktober 2011 zwischen Bratislava und Krakau (in der Pause nach Runde 9 des Zugturniers)

MG (Mark Gluhovsky)
MK (Michael Klyszcz)
RS (Reyk Schäfer)
VC (Valeria Chugunova)

Kommt auch aus Moskau: Lera VC: Wo wird das Tal-Memorial stattfinden?
MG: Im Paschkow-Haus. Ich hoffe, Sie besuchen das Turnier ab 15. November! Vielleicht waren Sie noch nie dort?

VC: Stimmt, das kenne ich noch nicht. Also komme ich und schaue es mir an! :-) Und die Weltmeisterschaft wird ebenfalls in Moskau stattfinden?
MG: Richtig, Mitte Mai nächsten Jahres. Die Organisatoren treten gerade in die Verhandlungen mit der Tretjakov-Galerie ein. Zuerst sollte das Finale im Puschkin-Museum stattfinden, welches nächstes Jahr seinen 100sten Geburtstag feiert. Aber das wird nicht möglich sein. Mir persönlich gefällt die Tretjakov-Galerie sogar besser. Das Puschkin-Museum hat eine vorzügliche internationale Kollektion, eine der besten der Welt. Aber die Tretjakov-Galerie hat eine herausragende russische Kollektion! Und die Absicht der Sponsoren und Organisatoren ist es, nicht nur Schach zu vermarkten, sondern auch russische Kunst und Kultur. Bis jetzt ist allerdings noch nichts offiziell. Die Verträge zur Weltmeisterschaft werden frühestens nach Ende des Tal-Memorials unterzeichnet. Ich freue mich jedenfalls schon sehr auf dieses Ereignis. Es wird genau dann stattfinden, wenn wir gerade mal richtig gutes Wetter in Moskau haben: Mai und Juni! ;-)

VC: Moment mal, Juli und August sind ebenfalls gut (lacht)!
MG: Juli, August, also .. na ja... Aber ernsthaft: Ich kann nur jedem empfehlen zu kommen und diesem Ereignis beizuwohnen! Ich bin mir absolut sicher, dass es hochinteressant wird.

Von Steinitz bis Petrosjan MK: Gibt es in Russland einen Favoriten auf den Titel? Wird eher Anand oder Gelfand bevorzugt?
MG: Nein. Ich denke nicht, dass einer der beiden Kandidaten besonders favorisiert wird. Natürlich entstammt Boris dem russischen Kulturkreis, aber auch Vishy war mehrere Male in Moskau. Viele Schachliebhaber schätzen und bewundern ihn. Also nein, keiner ist besonders favorisiert in Russland. Auch dann nicht, wenn der Hauptsponsor des Wettkampfes ein Freund von Boris Gelfand ist.

Es ist übrigens recht amüsant, dass nun zwei Vertreter der etwas älteren Generation um den Weltmeistertitel kämpfen werden. Deren Söhne wurden fast gleichzeitig innerhalb von nur zwei Monaten geboren! Sie können sich nach dem Wettkampf dann also vielleicht über Pampers oder ähnliche Themen unterhalten (lacht).

Pavel Matocha, Vlastimil Hort RS: Wie schätzen Sie persönlich deren Chancen ein?
MG: Ich denke, die Chancen stehen tatsächlich bei 50-50. Vishy hat natürlich reichlich Erfahrung. Aber bei so einem Zweikampf ist Motivation ein ganz wesentlicher Faktor. Und vielleicht ist die Motivation von Boris einfach höher! Denken Sie mal an die Weltmeisterschaft von Mexico 2007, als Boris ebenfalls in hervorragender Verfassung war und mit Kramnik den zweiten Platz teilte! In solchen Turnieren sind die Chancen von Anand besser, weil man mindestens ein +3 Ergebnis zum Gewinn benötigt. Doch in einem Zweikampf ist +1 völlig ausreichend, wie Boris in Kazan zeigte. Persönlich stehe ich ihm etwas näher. Aber ich bin sicher, dass die Bedingungen und die Unterstützung für beide Spieler in Moskau absolut fair und gleich sein werden.

Sachový Vlak MK: Wird dieser Weltmeisterschaftskampf auch die Bevölkerungsteile in Russland erreichen, die ansonsten eher wenig mit Schach im Sinn haben?
MG: Aber selbstverständlich! Turniere wie das Tal-Memorial erfahren eine gute Abdeckung im Internet und auch in Zeitungen, nicht aber im Fernsehen. Über das Finale der Schachweltmeisterschaft jedoch wird ganz sicher auch das Fernsehen berichten!

MK: Kann dieses Ereignis dazu beitragen, dass sich auch jüngere Menschen wieder mehr für Schach interessieren?
MG: Das glaube ich schon. Der russische Schachverband richtet diesen Wettkampf aus, obwohl keiner der Protagonisten Russe ist. Dieser Umstand alleine macht schon klar, dass es auch um die generelle Werbung für Schach geht. Zudem wird deutlich, dass beide Kandidaten sehr willkommen und als herausragende Repräsentanten für das Schach angesehen sind.

3 in a row

MK: Russland ist immer noch die mächtigste Schachnation der Welt, doch zuletzt haperte es an einer angemessenen Anzahl an Siegen, insbesondere wenn es um Mannschaftswettbewerbe ging – die großen Titel gingen kaum mal nach Russland ...
MG: Ich kann darin überhaupt kein Problem entdecken. So ist eben Sport! Es war ja nicht gerade besonders interessant, als früher sämtliche Titel immer an die Sowjetunion fielen. Wer wird gewinnen, Petrosjan oder Spassky, das war's ... (lacht). Jetzt aber haben wir die spannende Konstellation, dass sich viele Spieler aus aller Welt in sportlicher Konkurrenz befinden. Ich hoffe auch sehr, dass Magnus Carlsen am nächsten Kandidatenzyklus teilnehmen wird.
Natürlich ist der russische Schachverband am Gewinn von Titeln interessiert. Und wir haben einige noch sehr junge Spieler wie Nepomniachtchi und Karjakin, die mal um einen Titel kämpfen können. Dazu kommen von der älteren Generation Spieler wie Svidler, Grischuk und Morozevich, die alle eine fantastische Form aufweisen. Es gibt also durchaus Perspektiven.
Hinsichtlich der Mannschaftswettbewerbe sollte ursprünglich ein sehr junges Team bei der kommenden Mannschaftseuropameisterschaft in Griechenland an den Start gehen, vielleicht mit Talenten wie Tomashevsky, Vitiugov, usw. Dann jedoch entschied man sich dafür, mit Svidler, Karjakin, Grischuk, Morozevich und Nepomniachtchi eine der stärksten Mannschaften aller Zeiten ins Rennen zu schicken.
Doch am Ende weiß man es nie, es kann immer alles passieren. Die Ukraine ist wie gewohnt stark und auch Aserbaidschan. Nicht zu vergessen natürlich Armenien, die ein ganz fantastisches Team haben, obwohl nur einer von ihnen zur absoluten Weltspitze zählt.

Der Speisewagen MK: Wie verhält es sich eigentlich mit Mannschaftskämpfen in Russland?
MG: Ich leite die Mannschaft von "SM 64 Moskau". Das mache ich nun seit gut drei Jahren. Wir hatten prima Resultate bei der russischen Mannschaftsmeisterschaft: Zwei Meister- und ein Vizemeistertitel stehen seither zu Buche! Außerdem waren wir auch sehr erfolgreich beim Europa-Cup. Dieses Jahr boten wir dafür Gelfand, Wang Hao, Caruana, Giri, Riazantsev, Potkin, Grachev und Najer auf. Das ist zweifelsohne ein sehr starkes, junges und motiviertes Team, nicht wahr! Und doch wurden wir am Ende nur 5. (lacht)! Okay, das Ergebnis kam etwas willkürlich zustande. Von den drei Erstplatzierten hat kein Team untereinander gespielt. Lediglich Saratov (4. Platz) and meine Mannschaft mussten gegeneinander antreten. Aber gut, man kann in jedem System gewinnen (lacht).

Krákow MK: Gibt es nur eine einzige Liga für Mannschaftskämpfe in Russland?
MG: Na ja, wir haben leider in Russland nicht so ein Vereinssystem wie in Deutschland. In deutschen Klubs treffen sich die Spieler jede Woche um an Turnieren teilzunehmen, zu blitzen usw. Bei uns hingegen kommen die Spieler nur zu bestimmten Veranstaltungen zusammen, normalerweise nur zwei Mal im Jahr. Natürlich habe ich trotzdem eine rege Verständigung mit meinen Spielern und wir treffen uns bei einigen Gelegenheiten. Aber das ist nicht mit einem mehr oder weniger geregelten Vereinsleben zu vergleichen.

MK: Okay, so ist es für die starken Spieler. Was aber machen die Amateure?
MG: Es gibt einige Vereine für Amateure. Ich spiele auch als Amateur in einem der Klubs in Moskau. Und es gibt z.B. die Moskauer Mannschaftsmeisterschaft. Außerdem finden Mannschaftsmeisterschaften im Internet statt! Das ist natürlich den großen Entfernungen geschuldet. Beim europäischen Mannschaftspokal nahmen zwei Teams teil, die sich via Internet qualifiziert hatten!

Zurück in Prag

Das Interview schließt mit etwas Konversation auf Russisch. Reyk konstatiert, dass die russische Sprache sehr nützlich ist, wenn man sich für Schach interessiert.
MG: Früher waren Kenntnisse der russischen Sprache absolut notwendig, um Schach auf Weltniveau zu spielen. Auch Fischer lernte Russisch. Ansonsten war es schlichtweg schwierig, an geeignete Bücher zu kommen. Heute ist das nicht mehr so. Carlsen zum Beispiel spricht kein Russisch.

VC, MK, RS: Herzlichen Dank für das sehr informative und unterhaltsame Interview!
MG: Gerne, hat mir auch gefallen! Sehe Euch zur nächsten Runde! :-)

Für Vergrößerung auf die Bilder klicken.

« Teil I | Zum Seitenanfang

 
Links