Im Gespräch: Harry Schaack (II)

Harry trifft Präses (II) M&R: Deine ehemaligen Mitstreiter gingen alle nach und nach verloren?
HS: Ja. Als wir den jetzigen KARL ins Leben riefen und mir die Idee kam, es mit hochwertigem Druck bundesweit zu versuchen, da fragte ich verschiedene Leute, ob sie mitarbeiten wollen. Johannes (Fischer) war damals bei mir im Verein und beteiligte sich schon zuvor rege an der Vereinszeitung. Er war begeistert und sofort mit dabei. Dazu kam noch Stefan Löffler, der wesentlich zur Konzeptgestaltung beitrug. Er hatte sehr gute Ideen. Nach der dritten Ausgabe war er jedoch nicht mehr von der wirtschaftlichen Tragfähigkeit der Zeitschrift überzeugt und zog sich aus der redaktionellen Tätigkeit zurück.

M&R: Welchen Inhalt hatte jene Ausgabe?
HS: "Wunderkinder".

M&R: Hing der Ausstieg Stefans mit diesem Heft zusammen?
HS: Nein, nein. Er war ja auch in der Folge noch als freier Mitarbeiter tätig und hat weiter Artikel geliefert. Nur aus der redaktionellen Verantwortlichkeit ist er ausgestiegen.

M&R: Trug dann vielleicht der sich relativierende Anfangsboom zu seiner Entscheidung bei?
HS: Nein. Die Abonnentenzahl ging sukzessive nach oben und es war von Anfang an klar, dass zur Etablierung eines solchen Magazins langer Atem gehört. Nun sind es über 20 Hefte und KARL existiert immer noch. Nichtsdestotrotz, KARL ist ein Liebhaberprodukt. Der geringfügige Profit wurde jedoch irgendwann auch für Johannes zum Problem, insbesondere nachdem er Vater wurde. Da hatte er einerseits auf einmal weniger Zeit. Als Selbstständiger musste er sich andererseits einträglichere Erwerbsquellen suchen. Dennoch ist Johannes immer noch KARLs wichtigster Mitarbeiter, was sich auch an dem Anteil, den seine Artikel im Heft einnehmen, zeigt. Aber aus der Redaktion hat er sich nach der Ausgabe "Frauenschach" im Herbst 2004 zurückgezogen.

M&R: Schon alleine aufgrund Deiner Tätigkeit für den KARL bist Du wie wenig andere in der Schachszene zu Hause und kommst viel herum. Was würdest Du im Zusammenhang mit Deinen Recherchen spontan als das bemerkenswerteste Erlebnis oder Ereignis nennen und schildern wollen?
HS: Ich denke, die schönsten Erlebnisse waren die Besuche in Tallinn. Die erste Reise kam im Zusammenhang mit dem Heft über Keres 2004 zustande. Für diese Ausgabe hatten wir uns gewisse Zuwendungen erhofft, weil Estland in jenem Jahr der EU beitrat.

M&R: Kann man durch einen Schachspieler Gelder mobilisieren?
HS: Man muss wissen, dass Paul Keres in Estland ein Nationalheld ist. Sein Name öffnet Türen. Das kann man sich in Deutschland schwer vorstellen. Estland hat wenige Identifikationsfiguren und Keres dient dazu besser als jeder andere. Er wurde zwar nie Weltmeister, war aber über 25 Jahre hinweg absolute Weltspitze. Weil er so oft knapp am Turniersieg scheiterte, insbesondere bei den wichtigen Kandidatenturnieren, in denen der Herausforderer des Weltmeisters ermittelt wurde, nannte man ihn auch den ewigen Zweiten. Aber als er jung war, gewann er 1938 in Holland überraschend das AVRO-Turnier - eine der hochkarätigsten Veranstaltungen aller Zeiten - und das just zu dem Zeitpunkt, als Estland für wenige Jahre unabhängig war! Kurz danach wurde das baltische Land mehrfach annektiert, erst von Russland, dann von Deutschland und dann wieder von Russland. Das war sehr schwierig für die Esten. Sie mussten sehr um ihre Identität bangen. Es gab nach dem Krieg durch die sowjetischen Umsiedlungen in Estland einen sehr hohen Russenanteil in der Bevölkerung. Dass die Esten ihre Identität letztlich bewahren konnten, hing u.a. mit solchen Leitfiguren wie Keres zusammen. Schon kurz nach der Unabhängigkeit Anfang der Neunziger ehrte die junge Demokratie ihren Helden mit seinem Konterfei auf dem 5-Kronen-Schein der neuen eigenen Währung. Auch daran kann man seine große Bedeutung ermessen.

M&R: Wie kamen die Kontakte nach Estland nun zustande?
HS: Johannes fragte seinerzeit beim Fremdenverkehrsamt an. Dank seines Engagements wurden wir nach Estland eingeladen, erhielten freien Flug und Unterkunft und konnten tatsächlich mit allen wichtigen Leuten reden. Sie stellten uns zwei Begleiter zur Seite, die mit uns durch das ganze Land fuhren. Das war grandios.

M&R: Was geschah dann beim zweiten Besuch in Tallinn?
HS: Anlässlich des 90. Geburtstag von Paul Keres gab es in Estland eine sehr große Veranstaltung, in die auch die Staatsführung involviert war. Das ist wahrscheinlich in dieser Form in keinem anderen Land denkbar. In diesem Rahmen wurde ich zu einem Kolloquium eingeladen und mit mir die ganze frühere Schachwelt, wie Karpow, Kortschnoi, Spasski, Awerbach, Gligoric, Unzicker, Schmid, Olafsson, Sosonko, Ivkov, Matanovic, Taimanow ...

M&R: Lilienthal?
HS: Nein, Lilienthal nicht, der ist "zu" alt. Aber dafür das Supermodel und die Präsidentin des estnischen Schachverbandes Carmen Kass - jedenfalls eine unglaubliche Dichte an schachlicher Prominenz. Ein Teil der ehemaligen Schachelite hatte sich dort über drei Tage versammelt. Die Anwesenden wurden wie Staatsgäste behandelt. Es gab u.a. einen offizielle Empfang beim Präsidenten, ein Essen beim Kanzler, den Besuch einer ländlichen Datscha mit dem Kultusminister und ein Willkommensbuffet beim Bürgermeister von Tallinn. Das war ein großes Erlebnis. Aus hiesiger Perspektive ist die Ehrung dieses Schachspielers sicher schwer nachzuvollziehen.

M&R: Welche sonstigen Aspekte nähren Deine Hingabe für das Magazin?
HS: Ich bin im Laufe der Zeit mit sehr vielen Menschen in Kontakt gekommen, die einfach interessant sind und viel zu erzählen haben. Schachlegenden wie Smyslow, Taimanow oder Unzicker sind personifizierte Schachgeschichte und im Gespräch mit ihnen lebt eine bereits vergangene Epoche wieder auf. Das empfinde ich als spannend.

M&R: Würdest du es auch so sehen, dass man die KARL-Schwerpunkte in Porträts und konkrete geschichtliche Anlässe auf der einen und Themen wie "Zufall" auf der anderen Seite unterteilen kann?
HS: Ich denke, es gibt vier Hauptrichtungen. Einmal im Jahr planen wir ein Porträt. Daneben gibt es die Linie Turniergeschichte bzw. Geschichte von Organisationen, Orten etc.. Dann haben wir die Linie mit konkreten schachlichen Themen wie "Defensive" oder "Taktik". Schließlich gibt es abstraktere Themen wie "Tempo", "Zufall" oder "Schönheit".

M&R: Hast du ein Lieblingsheft?
HS: Ja. Mein Favorit ist das Keres-Heft. Wenn ein Thema im Entstehen ist, habe ich - bzw. damals: "wir" - meist sehr viele Ideen und stoße Verschiedenes an. Dann muss ich sehen, wie sich die Dinge entwickeln. Manches lässt sich einfach nicht realisieren. Beim Keres-Heft hat wirklich alles geklappt. Vieles ist haften geblieben, wenn ich nur an die Interviews mit beeindruckenden Persönlichkeiten wie Smyslow oder Spasski denke.

M&R: Du sagtest vorhin, ein KARL-Heft nimmt Dich voll und ganz in Anspruch. Nun hast du die Aufgabe des Pressesprechers bei den "Chess Classics" in Mainz übernommen. Wie bekommst du diese beiden zeitaufwändigen Tätigkeiten unter einen Hut?
HS: Na ja, der KARL erscheint ja nur viermal jährlich. Es gibt also vier Abschnitte, in denen ich sehr intensiv mit der Zeitschrift beschäftigt bin. Das nächste Heft ist für September geplant, die Chess Classic finden im August statt. Das Amt des Pressesprechers ist für mich sehr reizvoll. Diese Veranstaltung ist einfach ein tolles Ereignis - nahezu die gesamte Weltelite ist vor Ort, und noch dazu ist es für mich ein Heimspiel. Darüber hinaus wird auch die Arbeit für den KARL durch viele neue Kontakte profitieren. Insofern ist die neue Aufgabe eher eine kongeniale Ergänzung zu meiner sonstigen Tätigkeit.

M&R: Wirst du da noch Zeit haben, selbst zu spielen?
HS: Wohl sehr wenig, was schade ist. Gelegentlich spielte ich letzte Saison für meinen Verein, die Schachfreunde Schöneck. Wir spielen in der 2. Liga Ost. Einmal fehlte nicht viel und ich hätte gegen meinen KARL-Mitstreiter Johannes Fischer, der jetzt für Leipzig spielt, antreten müssen.

M&R: Hättet Ihr die Partie ernsthaft ausgetragen?
HS: Ja, ich denke schon. Warum nicht?

M&R: Wie bist Du überhaupt zum Schach gekommen?
HS: Hier gibt es eine Parallele zu Unzicker, mit dem sich gerade mein aktuelles Heft beschäftigt. Auch ich hatte einen sehr autoritären Vater und Schach bot die Möglichkeit, sich gegen ihn zu behaupten.

Harry, Uwe, Konrad im Museumsplausch M&R: Du hattest für heute eine Einladung zum Champion's Dinner in Dortmund und bist stattdessen hier in Löberitz. Warum?
HS: Ich bedauere sehr, das ich daran nicht teilnehmen konnte. Da ich aber in der Schlussredaktion meines Heftes bin, fehlt mir einfach die Zeit. Morgen früh fahre ich nach Dortmund und freue mich auf die Begegnung zwischen Kramnik und Anand. So kann ich beides verbinden. Da das Turnier erst morgen Mittag anfängt, hätte ich wegen der langen Fahrtzeit erst einen Tag später hierher kommen können. Die Löberitzer Schachtage wollte ich aber unbedingt besuchen, weil es der Vorbereitung meines nächsten Heftes dient.

M&R: Welchen Themenschwerpunkt wird denn dieses nächste Heft haben?
HS: Die dritte Ausgabe dieses Jahres widmet sich anlässlich des Gründungsjubiläums des Saale-Schachbundes dem Bundesland Sachsen-Anhalt!

M&R: Harry, wir danken für das Gespräch und freuen uns ganz besonders auf die nächste Ausgabe des KARL sowie auf ein Wiedersehen bei den Chess Classic in Mainz!

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