Im Gespräch: Harry Schaack (I)

Harry im Gespräch mit Mikly und Riker Der "Frankfurter Bub", FIDE-Meister Harry Schaack, publiziert seit einigen Jahren erfolgreich das "kulturelle" Schachmagazin KARL. Darüber hinaus ist er für die Öffentlichkeitsarbeit der Chess Classic Mainz zuständig. KARL erscheint vierteljährlich und unterscheidet sich von anderen Fachmagazinen unter anderem dadurch, dass sich jede Ausgabe einem Schwerpunktthema widmet.
Im Rahmen seiner Recherchen für den nächsten Schwerpunkt verschlug es ihn alles andere als zufällig in die sachsen-anhaltinische Kulturlandschaft und wir ließen uns die Gelegenheit zu ein paar Fragen natürlich nicht entgehen. So entstand am späten Vorabend bzw. Morgen der Schachtage in bequemer Runde das nachfolgende Interview durch die Neugierigen Mikly und Riker im Schachmuseum Löberitz.

M&R: Hallo Harry, willkommen in Löberitz! Du bist in Schachkreisen bekannt als der Macher des Schachmagazins KARL – wie kam es dazu?
HS: Ein Auslöser dafür war u.a. eine einjährige Weiterbildung zum Multimedia-Designer, die ich nach meinem Germanistik-, Kunstgeschichts- und Philosophie-Studium machte. Man lernte da alles Mögliche, angefangen von digitaler Bildbearbeitung über CD-Rom-Programmierung bis hin zur Erstellung von Webseiten und 3D-Animation. Das war sehr interessant. Aufgrund eines personellen Wechsels erhielt ich die Möglichkeit, unsere Vereinszeitung redaktionell und gestalterisch zu übernehmen. Das schien mir ein sehr gutes Experimentierfeld zu sein. Ich hatte ein neues Konzept. Zuvor wurde das Layout durch das Aufkleben von einzelnen zuvor ausgeschnittenen grafischen Elementen erstellt. Ich machte das Layout der Zeitschrift, die damals schon vierteljährlich in einem Umfang von 80-100 Seiten erschien, fortan digital am Computer. Das war ideal, um direkt meine neuen Erkenntnisse auszuprobieren.

M&R: Wann war diese Übernahme?
HS: Das war 1998.

M&R: Und die Zeitung gibt es seit 1984!?
HS: Ja.

M&R: Wie war der Schritt von der Vereinszeitung zum bundesweiten Heft, das wir heute kennen?
HS: Mit der Vereinszeitung lief das dann erst einmal eine Zeitlang. Nach der einjährigen Weiterbildung habe ich einige Jahre in einer Werbeagentur gearbeitet. Das hat mir jedoch überhaupt nicht gefallen. Es war nicht wirklich das, was ich machen wollte. Als Einstieg war die Tätigkeit zwar ganz brauchbar, weil ich dort auch viel gelernt habe. Wir arbeiteten mit großen Unternehmen wie der Deutschen Bank, der Credit Suisse oder der Deutschen Bahn zusammen ...

M&R: Was genau wolltest Du denn machen?
HS: Ich wollte eigentlich im Kulturbereich arbeiten. Das interessierte mich.

M&R: Kultur ist ein sehr weiter Begriff. Was reizte Dich daran, warum gerade Kultur?
HS: Weil ich das als wesentlich für das Leben empfinde.

M&R: Also kommt es von der Lebenseinstellung?
HS: Ja, so könnte man sagen. Der Begriff Kultur ist inhaltlich nicht leicht zu fassen und wird ganz unterschiedlich definiert. Viele Aspekte des menschlichen Zusammenlebens können darunter subsumiert werden. Aber die Offenheit des Begriffs bietet natürlich auch Freiräume. Mich interessieren besonders Prozesse, die eine historische Relevanz haben. Phänomene, die einem in der Rückschau für das eigene Leben Impulse geben und im idealen Fall für das eigene künftige Handeln fruchtbar gemacht werden können. Übertragen auf mein Schachmagazin bedeutet das, dass man sich mit all den Dingen beschäftigt, die durch das Schach entstanden sind - und das ist weit mehr, als das Turnierschach. Kurz gesagt: Wenn an meiner Tätigkeit andere partizipieren, dann würde ich sie als sinnvoll beschreiben.

M&R: Und diesen Sinn hast Du bei Deiner Arbeit in der Werbeagentur nicht erkennen können?
HS: Ich begleitete in der Agentur Prozesse, bei denen manchmal ein Haufen Geld verpulvert wurde, ohne dass man am Ende ein Resultat vorzuweisen hatte. Da gibt es Projekte, die laufen jahrelang, und dann werden sie ohne Ergebnis eingestellt. Diese Tätigkeit war für mich nicht sinnstiftend. Sie brachte mir keine Befriedigung. Auch das Zusammenarbeiten mit den Kunden war oft sehr unangenehm und stressig. In der Werbebranche kommt es zudem nicht selten vor, dass man als sogenannter Kreativer lange, teilweise die ganze Nacht arbeiten muss. Dieser Rhythmus hat insgesamt sehr gravierend in mein Leben eingegriffen, weil ich z.B. meinen Freundeskreis gar nicht mehr richtig pflegen konnte. Dafür war die Inanspruchnahme durch die Arbeit zu groß. Diese Art zu leben hat mir einfach nicht gefallen. Und als sich dann die Möglichkeit auftat, die Zeitschrift KARL in einer anderen Weise zu publizieren, entschied ich mich sehr schnell, dort zu kündigen.

M&R: Aber auch im Kulturbereich geht einiges schief, hat keinen Bestand und läuft gegen die Wand und ist also auch mit Enttäuschungen verbunden!
HS: Das ist keine Frage. Vor Enttäuschungen ist man nirgends gefeit. Aber, mal so gesagt, wenn Du im Kulturprozess bist und versuchst etwas auf die Beine zu stellen, z.B. irgendeine Veranstaltung und Du auf dem Weg dorthin scheiterst, dann ist das zwar ärgerlich, aber Du hast doch den Versuch unternommen, etwas Sinnvolles ins Leben zu rufen, aus dem andere einen Nutzen hätten ziehen können.

Kleine KARL-Auswahl M&R: Gibt es dafür ein konkretes Beispiel, vielleicht aus Deiner Schaffenstätigkeit?
HS: Ja, natürlich den KARL. Das Heft ist für mich eine sinnvolle Tätigkeit. Zwar kann ich mit dem Magazin nicht meinen Lebensunterhalt verdienen, aber es ist meine Leidenschaft. Man könnte sagen, beim KARL handelt es sich wenigstens zum Teil um eine Art Geschichtsschreibung, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, gegen die Vergänglichkeit zu kämpfen. Es sind die kleinen Geschichten, die ohne ihre Niederschrift in Vergessenheit geraten würden. Die Afrikaner haben ein schönes Sprichwort. Sie sagen, wenn ein alter Mensch stirbt, dann stirbt mit ihm eine ganze Bibliothek! Und so ist das in gewisser Weise auch mit dem KARL. Es gibt so viele schöne Geschichten, die nie irgendwo aufgeschrieben, sondern immer nur oral tradiert wurden. Sie existieren nur in der Erinnerung einiger Individuen. Und wenn die verschwunden sind, dann verschwinden mit ihnen auch diese Geschichten.

M&R: Also geht es Dir um die Bewahrung dessen, was ansonsten verloren ginge?
HS: Das ist ein Aspekt, ja. Das ist natürlich im eigentlichen Sinn des Wortes ein sehr konservativer Ansatz. Ein anderer nicht minder reizvoller Aspekt ist der Umstand, dass Schach dank seiner langen Tradition ein wundervoller Ausgangspunkt ist, um ganz unterschiedliche Dinge zu exemplifizieren. Es bietet so vielfältige Zugangsmöglichkeiten. Über Schach kann man Aspekte kultureller, sozialkritischer, historischer Art und etliches andere reflektieren. Und das ist für mich sehr spannend.

M&R: Gehört dazu auch das marokkanische Tourismusbüro, das sich nun in den Räumen des berühmten Schachcafés "Café de la Régence" befindet? (AdR: Siehe KARL 4/06, Schwerpunkt "Paris")
HS: (lacht) Na ja, es ist ja nicht so, dass man Dinge immer unbedingt am Leben erhalten muss. Es gilt auch, Veränderungen zu akzeptieren. Das gehört eben dazu. Gerade der Wandel ist ja auch ein interessantes Phänomen. Ich finde es allein schon erstaunlich, dass nach über 200 Jahren die Räume des "Café de la Régence" überhaupt noch existieren.

M&R: Wir stellen fest: Du hast Dein Hobby, Deine Leidenschaft, Deine Sinnschätzung zum Beruf gemacht!?
HS: Ja, das kann man so formulieren.

Harry trifft Präses (I) M&R: Wie groß ist Dein Zeitaufwand?
HS: Da ich das Heft jetzt alleine mache, führt es inzwischen regelmäßig in den totalen Stress, wenn eine neue Ausgabe bevorsteht. Trotz aller Planung und Vorbereitung - wie jetzt gerade zum Beispiel mit meinem Besuch in Löberitz schon für das nächste Heft - ist der letzte Monat immer sehr intensiv. Da bleibt kaum mehr Zeit für andere Dinge. Natürlich könnte man diesen Aufwand besser auf die drei Monate verteilen, aber meine Arbeitsweise ist einfach eine andere. Das ist für mich wie ein manischer Prozess. Ich arbeite dann sehr lange, bis zu 30 Stunden am Stück, schlafe fünf Stunden und arbeite weiter. Manchmal fällt es schwer, den Anfang zu finden, aber danach ist es wie eine Droge. Doch es hat etwas sehr Befriedigendes, wenn die Zeitschrift langsam Gestalt annimmt, wenn aus der Idee irgendwann etwas Materielles wird, das man in die Hand nehmen kann. Danach bin ich meist ziemlich ausgelaugt und muss mich zunächst ein paar Tage erholen.

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